Wiege – Schrift – Kultur
Gold, Rot, Schwarz verbandelt
Zur Ähnlichkeit in der höchst erfolgreichen Ausstellung China und Ägypten – Wiegen der Welt
Goldene, rote und schwarze Banderolen sind durch den berühmten Griechischen Hof des Neuen Museums gespannt. In goldenen und weißen Titeln wird der Griechische Hof mit seinem Figurenfries über 65 Meter vom Untergang Pompejis von Hermann Schievelbein zum Schauplatz einer archäologischen und kulturhistorischen Analogisierung von China und Ägypten als Wiegen der Welt. Die Direktorin des Ägyptischen Museums und der Papyrussammlung, Friederike Seyfried, hat in Kooperation mit dem Direktor des Shanghai Museums, Yang Zhigang, eine für Europa und den Westen einzigartige Ausstellung mit exklusiven Leihgaben aus China zusammengestellt.
Anfang August hatten schon 100.000 Besucher die Sonderausstellung zum Jahr des deutsch-chinesischen Kulturaustausches besucht. Die Ausstellung war ein wenig überstürzt, der Katalog noch im Druck, am 6. Juli eröffnet worden, weil am 5. Juli der chinesische Staatschef Xi Jinping mit seiner Gattin vor dem mittlerweile legendären Gipfel in Hamburg in Berlin weilte. Xi Jinping könnte zur Eröffnungszeremonie mit großer Entourage vorbeikommen, drängte die Botschaft. Stattdessen wählte Xi, die Pandas Jiao Qing und Meng Meng mit der Kanzlerin im jade-türkis-farbenen Blazer zu besuchen. Die niedrigen und engen Räume vom Griechischen Hof ausgehend versprachen selbst mit dem legendären Jadegewand der Dame Fu Hao keine günstigen Bilder für die Medien.
Nur am Rande: Das Türkis des Blazers von Angela Merkel beim Besuch im Berliner Zoo ähnelte dem des überaus kostbaren Jadegewandes der Dame Fu Hao, 1976 eine archäologischen Sensation aus der Zeit der Westlichen Han-Dynastie, 206 v. Chr. bis 8 n. Chr., die derzeit zum ersten Mal außerhalb Chinas in der Ausstellung zu sehen ist. Gutes Omen? Schlechtes Omen? Es ist gut möglich, dass Xi Jinping und seine Medienberater auf keinen Fall mit Bildern der Totenkultur im chinesischen Altertum in Verbindung gebracht werden wollten, weil es nach wie vor im chinesischen Alltagswissen Unglück verheißt. Über Analogien oder auch nur Ähnlichkeiten kann sich unterschiedliches Wissen generieren, das aus der Kombination mit kulturellen Mustern unglücklich werden kann. So gilt es beispielsweise als unglückverheißend, die Essstäbchen quer über eine Reisschale zu legen, weil dies einem Zeichen für Tod in der chinesischen Schrift ähnelt.
Die Sonderausstellung China und Ägypten – Wiegen der Welt spielt schon im Titel auf die Analogie als Wissensformat an. Auf den Plakaten in der Stadt und ganz Deutschland wird die Analogie bereits mit den normalisierten Schriftzeichen für China - 中国 – als Mitte Reich und Ägypten mit Hieroglyphen in Gold auf geheimnisvolle Weise ähnlich. Die Schriftzeichen und Bilder lassen sich für „die“ Öffentlichkeit kaum lesen, ähneln sich aber. Die Länder- oder Kulturnamen China und Ägypten erscheinen verschlüsselt, doch ähnlich. Friederike Seyfried ist vorsichtig mit der Ähnlichkeit und wendet sie dann doch an, wenn sie in ihrem Vorwort eine „Gegenüberstellung beider Kulturen in einer gemeinsamen Ausstellung“, die es sie so noch nicht gegeben hat, verspricht, „zum ersten Mal (treten) archäologische Objekte aus dem Reich der Mitte mit vergleichbaren Funden aus dem Alten Ägypten in direkte Beziehung“.[1]

China und Ägypten. Wiegen der Welt, Ausstellungsgrafik, bestehend aus: Weingefäß in Gestalt einer Eule, © Shanghai Museum, China, Statuette des schakalköpfigen Gottes Anubis, © SMB, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß, Dui Speisegefäß, © Shanghai Museum, China, Dienerfigur, © Shanghai Museum, China, Herzskarabäus, © SMB, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß
Mehrere Dinge kommen in der Ausstellung zusammen, die einzigartig, doch auch problematisch sind. Erstens „resultiert“ sie „aus einem zukunftsweisenden Kooperationswunsch der Staatlichen Museen zu Berlin und des Shanghai Museums“.[2] Zweitens „bedeutet die Ausstellung eine Sichtbarkeit der Sammlungen des Museums für Asiatische Kunst und des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin auf dem Weg zum Humboldt Forum“, wie es Michael Eissenhauer als Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin in seinem Grußwort formuliert.[3] Und drittens geht es um das „Experiment einer direkten Gegenüberstellung zweier weit voneinander entfernten Hochkulturen, den Blick für diejenigen Voraussetzungen und Konstanten zu öffnen, die der Mensch benötigt, um komplexe Gesellschaftssysteme zu schaffen“.[4]
In der Ausstellung kommen diskursiv gleich mehrere wissenschaftliche Disziplinen wie die Archäologie, Ägyptologie, Sinologie, Ethnologie und Anthropologie zusammen. Insofern geht es um einen interdisziplinären Ansatz, der weniger danach fragt, ob es „Voraussetzungen und Konstanten“ für die Herausbildung von „komplexen Gesellschaftssysteme(n)“ gegeben hat, als vielmehr behauptet, dass „der Mensch“ mit den Themen „Lebenswelten“, „Schrift“, „Tod und Jenseits“, „Glaubenswelten“ sowie „Herrschaft und Verwaltung“[5] exemplarisch zwei „Hochkulturen“ in China und Ägypten herausgebildet hat. Präsentiert werden dann im Ausstellungsraum „Lebenswelten“ und im Katalog Grundrisse von Wohnhäusern[6] sowie das „Modell einer Kultkapelle („Seelenhaus“)“ aus dem Mittleren Reich, 2119-1794 v. Chr.[7] neben dem „Modell eines Hauses“ aus der Han-Dynastie, 206 v. Chr.-220 n. Chr.[8], wobei in der Ausstellung nicht näher darauf eingegangen wird, dass es sich um Grabbeigaben handelt.
Am Thema „Lebenswelten“ wird sogleich eine Schwierigkeit des Ausstellungskonzeptes deutlich. Was heißt Lebenswelt bzw. „Lebenswelten“? Wie lässt sich das Objekt „Grün glasiertes Modell eines Entenstalls“ lesen und erkennen? Christian Werner erschließt den „Entenstall“ aus dem Shanghai Museum über „Steinschnitzereien sowie Textbelege wie den „Vertrag mit einem Diener“ … des Han-zeitlichen Beamten Wang Bao, der den Diener anweist, einen Schwarm von einhundert Enten zu füttern und zu pflegen“.[9] Es ist gar nicht so leicht die Objekte der Lebenswelt zu erschließen und zu kontextualisieren. Was im Katalog noch leidlich gelingen mag, lässt die Besucher*innen in der Ausstellung eher ratlos zurück. Was als museumspädagogisch naheliegend erscheinen mag, darf für Menschen, die gerade keine Enten halten, doch einigermaßen rätselhaft wirken.
Es geht mit den Wiegen der Welt um die Ursprungsfrage von Kulturen. In der Formulierung des Ausstellungstitels gibt es mehrere Wiegen und offenbar eine Welt. Dabei wird in der Ägyptologie nicht erst seit dem 19. Jahrhundert, sondern bereits in der Neuzeit seit Athanasius Kircher im 17. Jahrhundert darauf Wert gelegt, die heiligen Einritzungen, altgriechisch hiero-glyphen, lesen und entziffern zu können. Ägypten und die Hieroglyphen werden an der Schwelle zur Neuzeit durch den deutschen Jesuitenpater Athanasius Kircher wichtig. Warum? Nach dem Konzil von Trient 1564 als Reaktion auf die Reformation publiziert Kircher Œdipus Ægyptiacus 1652 als wissenschaftlichen Gottes- und Bibelbeweis. Der Ursprung der Welt wird auf diese moderne Weise von Athanasius Kircher und der „Societate Iesu“ in der Heiligen Schrift, in Gottes Wort und dem christlichen Gott als Schöpfer nicht zuletzt der ägyptischen Kultur argumentativ festgelegt.[10]
Auf dem allegorischen Kupfertitel des Buches besingt ein griechischer Ödipus eine ägyptische Sphinx mit Engelflügeln, während auf Spruchbändern „Sensu et Experientia“ und „Ratione“ als Erzengel den jesuitischen Wissensgewinn rahmen. Kircher stellt Sinn und Erfahrung sowie die mathematische Ratio in den Dienst der Katholischen Kirche und der Welt. In der Schrift, die aus dem Studium der Hieroglyphen und Bibelexegese zum Schluss kommt, dass Adam und Eva die antike ägyptische Sprache gesprochen haben, werden so ziemlich alle zeitgenössischen Wissensbereiche von der „Astrologia“ über die „Mathematica“ bis zur „Philologia“ auf Medaillen verknüpft, um die Richtigkeit des Katholizismus und Gott als Ursprung zu beweisen.[11]
Œdipus Ægyptiacus ist ein kirchenpolitisches Buch, nachdem in Nordeuropa gerade der Dreißigjährige Krieg beendet war. In allerlei Sprachen über Deutsch, Ungarisch, Griechisch und nicht zuletzt mit chinesischen und ägyptischen Hieroglyphen wird Kaiser Ferdinand III., der den Westfälischen Frieden freigegeben und damit erheblich an Macht verloren hatte, als katholischer Weltherrscher besungen.[12] Als letzte der siebenundzwanzig Elogen oder Lobgesänge wird auf einem Obelisken, der vom habsburgischen Doppeladler gekrönt wird, in Hieroglyphen die „Aegypti Prisca Sapientia“, die alte, ägyptische Weisheit, auf „Ferdinandus III. Caesar“ gedruckt. Die Ägyptologie wird damit frühzeitig zum Modell einer chronologischen Kulturerzählung, die bis ins 19. und 20. Jahrhundert fortwirkt.
Athanasius Kircher wollte im Dienst der Katholischen Kirche die Welt erklären und beherrschbar machen. Überall dort, wo die Welt wie in den Niederlanden im 17. Jahrhundert durch die Reformation schon brüchig geworden war, muss eine Einheit gefunden werden. Als andere große Schriftkultur, die sich für die seit geraumer Zeit mit China Handel treibenden Europäer kaum entschlüsseln lässt, bietet sich die chinesische für Kircher als Forschungsgegenstand an. Fünfzehn Jahre nach Œdipus Ægyptiacus veröffentlicht er seine große, ebenso strategische wie prägende Schrift: China monumentis, qua sacris quà profanis, nec non variis natrae & artis spectaculis, aliarumque rerum memorabilium argumentis illustrate.[13] Erstens erklärt er durch die (gefälschte) Nestorianische Stele von Xi‘an China zu einem christlichen Land. Zweitens müssen in seiner jesuitischen Eigenlogik wegen ihrer pikto-logischen Ähnlichkeit die „Characteres Hieroglyphici Sinensium“ von den ägyptischen abstammen.[14]
Warum ist der Exkurs zu Athanasius Kircher für die Ausstellung China und Ägypten – Wiegen der Welt wichtig? Im Ausstellungskatalog findet Athanasius Kircher keine Berücksichtigung. Doch er arbeitet gerade mit seinen Büchern an einer Chronologie der ägyptischen und chinesischen Schrift als Wissensmodell. Die Schrift und die Bildlichkeit der Schriften wird in der Ausstellung nicht zuletzt durch die „Chronologische Entwicklung eines Schriftzeichens im Ägyptischen und Chinesischen“ beschworen.[15] Sie wird von Friederike Seyfried in Anknüpfung an den Ägyptologen, Religions- und Kulturwissenschaftler Jan Assmann[16] als „bahnbrechende Kulturleistung der Menschheit“ eingeführt.[17] Seyfried hebt die bildliche Ähnlichkeit der Schriftzeichen hervor:
Die Schriftzeichen auf den bislang über 200 000 bekannten Orakelknochen können zwar nur von Fachwissenschaftlern entziffert werden, aber ihre Piktogramme stehen eindeutig am Beginn der chinesischen Schrifttradition. Vergleicht man die frühen Shang-Schriftzeichen mit den um 1500 Jahre älteren, bereits voll entwickelten ägyptischen Texten der 3. Dynastie um 2700 v. Chr., so fällt auf, dass sich erstaunlich viele Piktogramme in beiden Systemen ähneln …[18]
Die Ähnlichkeit der Piktogramme lässt sich durchaus nicht so leicht bei den „(ä)gyptische(n) und chinesische(n) Schriftzeichen im Vergleich“[19] erkennen. Vielmehr wird beispielsweise eine Normalisierung der Orakelknochenschrift vorgenommen, um die Piktogramme ähnlich zu machen. Es ist gewiss sehr begrüßenswert, dass überwiegend junge Wissenschaftler*innen die Texte für die einzelnen Objekte im Katalog unter Angabe der einschlägigen Literatur geschrieben haben. Indessen wünscht man sich wenigstens ansatzweise eine wissenschaftliche Fachdiskussion für einen so wichtigen Gegenstand wie die Orakelknochenschrift. Gibt es keine Fachdiskussion dazu? Gewiss hat der „Orakelknochen mit Schilderung eines Verkehrsunfalls“ aus der Shang-Dynastie, 1300-1100 Jh. v. Chr., eine gewisse lebensweltliche Nähe. Doch was wird, mit der Schrift als Wahrnehmung vorausgesetzt, wenn Christian Werner folgendes schreibt?
… Ein großer Teil der Zeichen ist bisher noch nicht interpretiert und die Entzifferung der Zeichen stellt weiterhin einen wichtigen Forschungszweig dar. Die Inschrift dieses Knochens belegt einen der frühesten bekannten Verkehrsunfälle in der chinesischen Geschichte: Die Achse eines Wagens des Königs ist bei der Ausfahrt zur Jagd gebrochen und das Orakel soll nun klären, ob es sich dabei um ein Unheil bringendes Vorzeichen handelt.[20]
Die Orakelknochen selbst befinden sich an der Schnittstelle unterschiedlicher Wissenspraktiken. Denn sie geraten allererst um 1900 mit dem Direktor der Chinesischen Kaiserlichen Akademie am Kaiserhof in Peking, Wang Yirong, ins Interesse des Wissens von China. Über fast dreitausend Jahre waren sie vielmehr in die Sammlungen chinesischer Apotheken als magisch-energetisches Heilmittel in Pulverform gelangt. Die Funktion des Orakels wurde insofern in die Medizin überführt, was beispielsweise einen „Verkehrsunfall“ in einen ganz anderen Kontext stellt. Wang Yirong beging, kurz nachdem er die Einritzungen der medizinisch gebrauchten Knochen als Wissen früher chinesischer Schrift-Kultur wahrnahm, Selbstmord am 14. August, nachdem am 13. August 1900 das internationale Expeditionscorps zur Beendigung des Boxeraufstands Peking eingenommen hatte. Wang hatte die Verteidigung Pekings durch die Boxer organisiert.
Es wird berücksichtigt werden müssen, dass die Umdeutung der medizinisch-magischen Drachenknochen zum Ursprung der chinesischen Schrift in dem Moment stattfindet, als die „Boxer“ gegen die imperialistischen internationalen Gesandten aus Deutschland, Österreich-Ungarn, USA, Frankreich, England, Russland, Belgien, Italien und Japan in Peking rebellieren. Es war unter der buddhistischen Kaiserinwitwe Cixi und ihrem Hof der Verbotenen Stadt ein Moment, China als Nationalstaat mit einer neuen Geschichtsschreibung zu formulieren.[21] Wang Yirong als Direktor der Kaiserlichen Akademie unternimmt die Umdeutung der Knochen somit im Moment der Verschiebung der chinesischen Herrschaft zur Nationalkultur. Am 20. Juni 1900 hatte Kaiser Wilhelm II. in Bremerhaven die berühmt berüchtigte „Hunnenrede“ gehalten. Wird dieser Aspekt der Orakelknochenschrift völlig ausgeblendet, funktioniert die Chronologie der Schriftentwicklung eben auf ganz andere, offenbar unbefangene Weise.
Wang Yirongs Formulierung der Orakelknochen als frühe, chronologische Schriftzeugnisse wird nicht ohne eine ansatzweise, doch wohl verschüttete Schriftdiskussion stattgefunden haben. Schließlich war er als Direktor der Kaiserlichen Akademie in die entscheidenden wissenschaftlich-politischen Diskussionen und Verschiebungen qua Amt involviert. Im Entwurf der Geschichte der Qing Dynastie, Qingshi gao von Zhao Erxun[22] veröffentlicht, wird nachträglich durch eine Historikerkommission zwischen 1914 und 1929 die Entdeckung der Schrift allerdings anders erzählt. Denn Wang sei an Malaria erkrankt gewesen und habe die Knochen als Medizin in Peking bekommen, um darauf die Schrift zu entdecken. Zweifellos magisch und medizinisch höchst wertvolle Knochen. Wie man die Entdeckung der Orakelknochenschrift auch wenden will, sie findet an einer Schnittstelle statt, als es um die Existenz Chinas als Schrift-Kultur und Nation geht. Dabei handelt es sich beispielhaft um eine Anknüpfung an das Narrativ des Kulturellen Erbes für die Nation, wie es für Frankreich nach der Revolution formuliert worden ist und es der Berliner Kulturwissenschaftler Stefan Willer mit Tradieren und Konservieren in der Moderne ausgearbeitet hat. Die Narrative um die Knochen und die Schrift schwanken und wechseln um 1900, was nicht einfach im Wissen aufgeht.
Friederike Seyfried und ihr Team enthalten sich einer wissenschaftshistorischen Diskussion zur Orakelknochenschrift als Ursprung der Schrift in China. Vielmehr übernehmen sie ein chronologisches Modell, an dessen Quelle nicht etwa ein Text von Wang Yirong zitiert wird, sondern die Qingshi gao von 1929 als nachträgliche Geschichtserzählung in turbulenten, politischen Zeiten der Republikgründung. Wenn die Ausstellung nicht so prominent angesetzt wäre, ließe sich die Normalisierung einer Schrift- und Chinageschichte verschmerzen. Doch diese Ausstellung wird ausdrücklich als „Weg zum Humboldt-Forum“ positioniert. Gerade im Humboldt-Forum sollte es darum gehen, Geschichtsmodelle transparent zu machen und nicht einfach zu adaptieren, wie sie aus dem langen 19. Jahrhundert überliefert werden.
Das Ausstellungsdesign setzt auf Bildlichkeit beispielsweise mit einem animierten Pop-up-Buch, was den Zugang erleichtern soll. Bilder von ägyptischen und chinesischen Szenen werden im gleichen Buch aufgefaltet. Für sehbehinderte Besucher*innen gibt es ertastbare Objekte. Die Fülle ebenso geheimnisvoller wie exquisiter Objekte ist groß. Was vermeintlich mit der Ähnlichkeit von Schriftzeichen auf der visuellen Ebene naheliegend ist und durch Tafeln offensichtlich wird, birgt indessen allergrößte Gefahren einer normalisierenden und harmonisierenden Geschichtserzählung. Man kann das dann einen Wunsch nach Einheit und Hegemonie nennen, der dem Standard wissenschaftshistorischer Kritik nicht gerecht wird. Ein enthistorisiertes Ausstellungsdesign wie Design als Wissensformat dockt zwar aktuell an der Design-Wende an[23], doch dies sollte dann in seinen Konsequenzen in einem der prominentesten Museen Deutschlands und der Welt transparent gemacht werden
Die Ausstellung findet nicht zuletzt im deutsch-chinesischen Kulturjahr statt. Mehrere kleinere Ausstellungen finden in anderen Museen der Staatlichen Museen zu Berlin statt. Der Direktor des Shanghai Museums, neben dem Palastmuseum in der Verbotenen Stadt in Peking (und atombombensicher in Taipei) das herausragende Museum Chinas, Yang Zhigang formuliert in seinem Grußwort den Wunsch, „dass diese Ausstellung das Interesse der deutschen Öffentlichkeit für China weckt, eine eingehende vergleichende Studie über antike Zivilisationen fördert und weitere Kooperationen und Austauschprogramme … ermöglichen wird“.[24] Wahrscheinlich sind drei Jahre seit der Unterzeichnung eines Memorandums zwischen dem Shanghai Museum und den Staatlichen Museen 2014 zu kurz, um diese Ausstellung mit einem begleitenden kulturwissenschaftlichen Symposium zu organisieren. Es ist allerdings schmerzlich, wenn eine derartige Möglichkeit in der Eile verschenkt wird. So häufig werden die Orakelknochen und die Dame Fu Hao nicht reisen können.
„Tod und Jenseits“, „Glaubenswelten“, „Herrschaft und Verwaltung“ als weitere Themenbereiche der Ausstellung sind umfangreich mit Objekten ausgestattet. Doch der Scharnierbereich bleibt der der „Schrift“. Die Prominenz der Ägyptologie und des ägyptischen Altertums liegt nicht nur in den Großobjekten der Pyramiden und Totenstädte. Vielmehr verdankt sie sich der Schriftzeichen als Hieroglyphen. Die umfangreichen Schriftzeugnisse werden systematisch als Dokumente entziffert und in Erzählungen übersetzt. Anders gesagt: es geht immer auch um Literaturen in ihrer sprachlichen Elastizität. Diese Elastizität wird indessen selbst dann ausgeblendet, wenn Seyfried die Vielzahl der „Literaturgattungen“ und die Exklusivität der „Lese- und Schreibkundigkeit“ erwähnt.
Unter den pharaonischen Schriftzeugnissen finden sich alle Literaturgattungen: von Gedichten und Liedern bis zu Erzählungen sowie alle Arten profaner, „wissenschaftlicher“, religiöser, theologischer und administrativer Texte. Allerdings blieb die Lese- und Schreibkundigkeit einer kleinen, elitären Schicht von 2-5 % der Bevölkerung vorbehalten.[25]
Die Schrift und die Zeichen erhalten auf diese Weise noch einmal einen anderen Stellenwert. Wenn nur einer kleinen Elite im antiken Ägypten Lesen und Schreiben möglich war, kommt ihr eine Funktion an der Schwelle zur Magie gleich. Stattdessen wird ein Schriftdiskurs entfaltet, der insbesondere durch die Bildlichkeit der Hieroglyphen in einer Abbildlogik funktioniert. Signifikat und Signifikant stimmen bruchlos überein. Doch die Orakelknochenschrift findet in einem magisch, mythologischen Bereich statt. Wie das Wissen der Schriftzeichen übertragen worden ist, bleibt ebenso im Dunkel wie das Entstehen einer Schriftpraxis, die in der Shang-Dynastie offenbar ausschließlich für die Prognose eingesetzt worden ist. Die Ausstellung läuft noch bis 3. Dezember und sehenswert ist sie ganz gewiss.
Torsten Flüh
China und Ägypten
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Neues Museum
bis 3. Dezember 2017
China und Ägypten
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Erschienen: 08.09.2017
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So weit entfernt und trotzdem ähnlich
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Deutsch-chinesisches Kulturprogramm 2017
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Chinoise und europäisierende Objekte 1669–1907.
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Chinesische Porträtmalerei der Ming- und Qing-Dynastie (1368–1912)
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11.10.2017 bis 07.01.2018
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[1] Friederike Seyfried: Vorwort zur Ausstellung „China und Ägypten. Wiegen der Welt“. In: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: China und Ägypten. Wiegen der Welt. München: Prestel, 2017, S. 12.
[3] Michael Eissenhauer: Grußwort. In: Staatliche Museen … S. 9.
[4] Friederike Seyfried: Vorwort … [wie Anm. 1] S. 13.
[6] Frederike Seyfried: Lebenswelten. In: Staatliche Museen … S. 24-27.
[7] Jan Moje: Modell einer Kultkapelle („Seelenhaus“). In: Staatliche Museen … S. 30.
[8] Christian Werner: Modell eines Hauses. In: Ebenda S. 32.
[10] Athanasii Kircheri e Societate Iesu Oedipvs Aegyptiacvs, Hoc Est Vniuersalis Hieroglyphicae Veterum Doctrinae temporum iniuria abolitae Instavratio: Opus ex omni Orientalium doctrina & sapientia conditum, nec non viginti diuersarum linguarum authoritate stabilitum (Band 1) — Rom, 1652 [Cicognara Nr. 2527-1] Kupfertitel.
[13] Athanasius Kircheri: China monumentis, qua sacris quà profanis, nec non variis natrae & artis spectaculis, aliarumque rerum memorabilium argumentis illustrate. Amsterdam: Meurs, 1667.
[15] Friederike Seyfried: Schrift. In: Staatliche Museen … [wie Anm. 1] S. 105.
[16] Als „(g)rundlegende Literatur für den Katalog und Literaturempfehlungen“ werden zwei Bücher von Jan Assmann angeführt. Ebenda S. 335.
[17] Zu Jan Assmann und Moses der Ägypter wie die Rolle der Schrift siehe auch: Torsten Flüh: Gründungsstreit. Zur 775-Jahr-Feier der Stadt Berlin und Jan Assmanns Mosse-Lecture zu Gelobte Länder. In: NIGHT OUT @ BERLIN 30. Oktober 2012 19:36.
[18] Friederike Seyfried: Schrift. In: Staatliche Museen ... [wie Anm. 1] S. 105.
[19] Ebenda Abb. 3 S. 107.
[20] Christian Werner: Orakelknochen mit Schilderung eines Verkehrsunfalls. In: Staatliche Museen … [wie Anm. 1] S. 114.
[21] Vgl. Hsi-yuan Chen: Last Chapter Unfinished: The Making of the Official Qing History and the Crisis of Traditional Chinese Historiography. In: Historiography East and West, 2 (2004), pp. 173-204. (PDF)
[23] Siehe auch: Torsten Flüh: Von der Design-Wende. Zur Tagung Verhaltensdesign im Hybrid Lab. In: NIGHT OUT @ BERLIN 14. Dezember 2016 21:12.
[24] Yang Zhigang: Grußwort. In: Staatliche Museen … [wie Anm. 1] S. 10.
[25] Friederike Seyfried: Schrift … [wie Anm. 15] S. 109.

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