Geister/Städte - Zur Ausstellung Moderne Geisterstädte und Markus Mittmansgrubers Das "Gespenst" und seine Apokalypse

Finissage – Geister – Hantologie

 

Geister/Städte

Zur Ausstellung Moderne Geisterstädte im Architekturmuseum und Markus Mittmansgrubers Das „Gespenst“ und seine Apokalypse

 

Am Donnerstag fand die Finissage der Ausstellung Moderne Geisterstädte im Architekturmuseum der Technischen Universität statt. Von einer Finissage schreiben, kommt einer Regelverletzung der Besprechung im Modus der Kritik gleich. Denn üblicher Weise wird im Feuilleton besprochen, was gerade begonnen hat, und ein Urteil ausgesprochen. Doch eine Finissage beendet die Dauer einer Ausstellung. Insofern stellt die Besprechung einer Finissagedie Frage nach dem Ende.

Die Frage nach dem Ende, die auch als eine Frage nach dem Tod und den Toten formuliert wird, wirft sich in Anknüpfung an Jacques Derrida umso mehr auf, wenn es um sogenannte Geisterstädte geht. Denn wie die Ausstellung Moderne Geisterstädte zeigt(e), haben sie ein besonderes Verhältnis zum Ende, zur Präsenz und zur Stadtplanung, durch die das Leben in einer Stadt geregelt werden soll. Stadtplanung kann also im weiteren Sinne immer auch als eine Wissenschaft vom Leben und seinen Enden formuliert werden.

Die Stadtplanung als eine Wissenschaft vom Leben der Menschen, der Generationen, der Tiere, der Pflanzen miteinander in einer Stadt greift mit anderen Worten auf ein ganzes Arsenal von Prognosen aus unterschiedlichen Wissenschaften zurück, um eine Stadt für ein maßgeschneidertes Leben der Zukunft planen, beginnen zu können. In der Ausstellung im Architekturmuseum ließen sich nun zwei extreme Beispiele beobachten: Ordos als Stadt in der Wüste ohne Menschen und Hashima als plötzlich verlassene Stadt im Meer.

Die chinesische Stadt Ordos (Time Photo Essay, 2010) in der Inneren Mongolei wurde nach dem Reißbrett geplant, weil die Region um Ordos über Kohle- und Erdgasvorkommen verfügt. Sie verdankt damit nicht nur ihre Existenz den geowissenschaftlichen, energie- und volkswirtschaftlichen Prognosen und einem vehementen politischen Willen, der sich in Monumentalskulpturen, Museen, anderen Staatsbauten und der Ordos Stadium Arena, in der am vergangenen Wochenende das Finale des Schönheitswettbewerbs Miss World 2012 stattfand, artikuliert. Ordos verkörpert geradezu den Wunsch des planbaren (schönen) Lebens in der Stadt.

Doch Ordos steht seit mehreren Jahren mit einer tatsächlichen Einwohnerzahl von 30.000 zum größten Teil leer. Die Prognosen wollen nicht greifen. Es will sich kein Leben einstellen, das sich nach den Prognosen, nach den Vorhersagen und Vorberechnungen organisiert.[i] Stattdessen bleiben Wohnungen, Häuser, Straßen, Plätze und öffentliche Einrichtungen unbewohnt. Bereit bewohnt zu werden, macht die leere Stadt einen unheimlichen Eindruck. Das Un-heimliche haust in Ordos, obwohl Größe und Luxus versprochen werden.

Als Geisterstadt, die nicht etwa verlassen wurde, weil sich irgendein Unglück ereignet hätte, sondern weil sich die Prognosen nicht erfüllen wollen, nimmt Ordos eine besondere Stellung unter den Geisterstädten ein. Ordos lockt mit dem Glück geräumiger Wohnungen, prächtiger Bauten, freien Straßen und kämpfender Hengste auf dem Hauptplatz. Doch die Beschwörungen des Lebens und des Heimlichen helfen nicht. Stattdessen regiert das Un-Heimliche, das sich nicht einfach als eine Abwesenheit von Leben zeigt, sondern auf eine seltsame Weise alles Leben vorführt, das sich zwischen Sicht- und Unsichtbarkeit hält.

Die Geisterstadt Ordos gibt Fragen auf. Nicht zuletzt wird die gespenstische Leere der Stadt mittels der Fotografie und einiger, weniger Formulierungen spürbar. Was ist eine gespenstische Leere? Eine gespenstische Leere ist nicht nur Leere. Vielmehr ist ihr ein Adjektiv beigegeben. In der Leere zeigt sich Gespenstisches. Daher sind das Geistige und die Geister der Geisterstadt sowie das Gespenstische sehr nah beieinander. Der Hohn der Journalisten und Kritiker von Ordos wendet sich durchaus gegen die Geister und ihren Machbarkeitswahn im Namen des Wissens und der Wissenschaft.

Markus Mittmansgruber nähert sich in seinem Buch Das „Gespenst“ und seine Apokalypse Von Jacques Derridas Körper (2012)[ii] der Frage nach dem Körper durchaus anders und doch auch sehr ähnlich. Geisterstädte lassen sich mit Mittmansgruber und dem Denken des Körpers nach Gilles Deleuze unbedingt als Körper formulieren.

Die Vielfalt der Körper und ihre Beschaffenheit bei Deleuze ist groß: Materielle Körper als Faltungen und Ent-Faltungen der Seelen; Welt als Berührungen von Kräften – alles gegen ein anthropozentrisches Körper-Bild. Doch muss es sich dabei stets um lebende, anwesend-präsente Körper handeln? Wenn es stimmt, dass sich viele Dinge ändern, wenn man, spinozistisch wie Deleuze, die Körper als Mächte und relationale Macht-Bündel betrachtet, zu affizieren und affiziert zu werden – müssen dann nicht konsequenterweise auch die Körper der Toten als über den Tod hinaus und in ihm wirksame Kräfte-Verhältnisse gedacht werden, die als „Gespenster“ die Körper der Lebenden heimsuchen können? … [iii]

Miss World als Erfüllung der Idealmaße hat wie die Geisterstadt Ordos in ihrer Idealplanung einen (Ideal-)Körper, der von „relationale(n) Macht-Bündel(n)“ durchzogen wird. Das Körper-Bild von Miss World ist nicht nur der Idealkörper einer Menschenfrau, vielmehr wird dieser Idealkörper im Wettbewerb durch ein ganzes Bündel von Wettbewerben durchzogen: Designer Award, Beach Fashion, Sports and Fitness, Performing Talent, Top Model, Multimedia Award, Beauty with a Purpose Award ... Die strahlende Siegerin der Miss World-Wettbewerbe bekommt in ihrer Perfektion un-heimliche oder gespenstische Züge.

Geisterstädte sind nicht einfach tot oder lebendig, obwohl Miss World natürlich vor allem der Stadt (mangelndes) Leben einhauchen sollte. Sie können als „Mächte und relationale Macht-Bündel betrachtet“ werden. Dafür kann Ordos einen Wink geben. Mehr noch als in Geisterstädten, die nicht nur verlassen worden sind, erinnert die temporal nicht fixierte Verlassenheit Ordos mit der Leere an Kräfte- und Macht-Verhältnisse. Ordos Verlassenheit hat viel mit dem Un-Heimlichen zu tun, das mit der ostentativen Zurschaustellung des Heimlichen korreliert. Geisterstädte sind Körper in der Weise wie Mittmansgruber im FWF-Forschungsprojekt „Generating Bodies – Korporale Performanz“ vom „Gespenst“ spricht.

Das Ende und der Anfang oder die Enden der Geisterstädte haben mit den „wissenschaftliche(n) Diskurse(n)“ zu tun. Ohne die Wissenschaft und dem von ihr gestützten Denken der Prognose gäbe es ganz offenbar Ordos als Geisterstadt nicht. Und an Mittmansgruber anknüpfend lässt sich sogar für sie formulieren:

Wissenschaftliche Diskurse tendieren oft dazu, ein Ende (oder einen Anfang, T.F) auszurufen: Sie stellen gerne die Apokalypse fest. Welche diskursiven Strategien wollen der Unabschließbarkeit, dem Ende ohne Ende, dem unkontrollierbaren „Ereignis“ Herr werden? Und wer leistet Widerstand? Antwort: die „Gespenster“.

In der geradezu skurrilen Verkopplung eines Schönheitswettbewerbs nach dem Gesetz eines (heimlichen) Body Mass Index, BMI, mit einer menschenleeren Geisterstadt geht es im Modus einer weltweitverbreiteten Unterhaltungssendung von Afghanistan auf Star World über Angola auf TPA und Germany auf E! bis Zimbabwe auf ZBC nicht nur um ein populäres Ereignis. Es geht um populäres Wissen, das das Ende des Wettbewerbs geradezu vorhersehen lässt, während es an einem Ort stattfindet, an dem eben dies nicht eingetreten ist.

Nicht zuletzt geht es mit der Unterhaltungssendung um eine Verbreitung von Wissen, das sich aus wissenschaftlichen Diskursen speist. Die Unterhaltungssendung wird dabei bis zur erwartbaren Siegerin, der Chinesin Yu Wenxia, zwar zum Event, aber keinesfalls zum „unkontrollierbaren „Ereignis““. In ihrer Gesetzmäßigkeit sind Wettbewerb und Unterhaltungssendung gerade kein Ereignis.    

An einem anderen Ende der Modernen Geisterstädte ließe sich Hashima (Mail Online 7. April 2012) denken. Bevor Hashima 1974 fluchtartig verlassen wurde, weil die Kohlemine des Mitsubishi Konzerns geschlossen wurde, gehörte die Stadt als Insel zu den am dichtesten besiedelten Orten der Welt. Sie war noch dichter besiedelt als Kowloon in Hongkong oder Tokio. In den 50er Jahren expandierten Hashima und seine Einwohnerzahl stark. Auf kleinstem Raum wurden Betonhochhäuser in die Höhe gezogen. Alle nach dem Stand wissenschaftlicher Stadtplanung notwendigen Einrichtungen bis zur Meerwasserbadeanstalt und zum Shinto-Schrein waren für die über 5.000 Bewohner auf 6,3 Hektar vorhanden.

Nina Fischer und Maroan el Sani zeigten zur Finissage im Architekturmuseum ihren Hashima-Film Spelling Dystopia von 2009 (Nina Fischer & Maroan el Sani). Mit Dystopia knüpfen die beiden Künstler an eine Art Anti-Utopie an. Eine Dystopie münzt eine Utopie, die sich aus den Wünschen nach einem idealen Ort speist, in die Schrecken eines quasi einstmals utopischen Ortes um. Hashima war in den 50er Jahren in seiner Modernität durchaus ein utopischer Ort.

Das Kippen der Utopie, die sich auf einer Insel im Meer ohne eigene Nahrungsmittelversorgung nur aus ihrem Bodenschatz Kohle speist, die ein fürsorglich, totalitärer Energie- und Industrie-Konzern, Mitsubishi, kontrolliert, erweist sich als ihr selbst eingeschrieben. Der Nicht-Ort – Utopia - als idealer und idealisierter Ort der europäischen Philosophie, die nach Japan als Industrienation ausstrahlt, erweist sich in seiner Materialisierung als Dystopia. Dass das Bild von Hashima zumindest dem Bild der Gefängnisinsel Alcatraz in der Bucht von San Francisco ähnelt, gibt auch einen Wink auf Utopien der Moderne als Kontrollwahn.

Insofern als der Zuzug nach Hashima in den 50er Jahren nur unter der Kontrolle wirtschaftlicher Berechnungen, dem Controlling, durch Mitsubishi stattfinden konnte und die Bewohnerzahl sich nach diesem richtete, entspricht die Stadt als Insel letztlich der Utopie einer totalen Berechenbarkeit unter dem Diktat betriebswirtschaftlicher Ziele. Wahrscheinlich ist viel weniger wichtig, dass die Menschen auf sehr geringem Quadratmeterraum lebten, als vielmehr, dass Mitsubishi gerade mit dem Bau der Stahlbeton-Hochhäuser und des Meerwasserschwimmbads ebenso wie dem Bordell alles tat, um dieses Leben erträglich und beherrschbar zu machen. Als nach den Gesetzen des Controlling die Kohlemine geschlossen wird, endet abrupt die Bewohnbarkeit der Insel. Die Stadt wird den Gespenstern des Controlling überlassen.

Kommen wir auf das „Gespenst“ zurück, wie es Mittmansgruber in seiner Schrift durcharbeitet. Das widerstandleistende „Gespenst“ widersteht seiner Berechenbarkeit. Ein wesentlicher Zug des Gespenstes bis in seine Tiefenimplikationen ist, dass es nicht berechenbar ist. Weder lässt sich sein Körper berechnen, obwohl es doch gerade mit Berechnungen aufgerufen wird, noch lässt sich sein Erscheinen oder Verschwinden berechnen. Mittmansgruber arbeitet von Gilles Deleuze und Roland Barthes bis Jean Baudrillard und seiner Medienkritik im ersten Teil die Implikationen des Gespenstes und des Körpers durch.

Denn das Gespenst hängt immer von einem Körper ab, der entweder als Trugbild kritisiert oder geleugnet oder vor allem mit der Photographie in La Chambre Claire von Roland Barthes als ein besonderes Vermögen des (analogen) Mediums gefeiert wird. Doch die Unterscheidung zwischen analogen und digitalen Medien, wenn man sie bei Barthes formuliert sehen will, geht fehl. Es geht vielmehr um eine Virtualität, die ebenso für die digitale Fotografie zutreffen kann. Doch trägt das Szenarium des Fotos von der Mutter bei Barthes durchaus einiges dazu bei, dem Missverständnis aufzusitzen.

Die Frage nach der Virtualität als einem Kräfteverhältnis, dass sich schwer berechnen lässt, gibt nicht nur einen Wink auf das Gespenst und seinen Körper. Vielmehr gibt sie auch einen Wink auf die Frage der Stadt. Sie kann ja durchaus als Fata Morgana im weitesten Sinne erscheinen und wieder verschwinden. Darin ähnelt sie dem Simulacrum:

Als spektrale Modifikation einer Virtualität im Sinne einer unkörperlichen Körperlichkeit, die scheint, strahlt, leuchtet und blickt, kann es nicht den Raum der bloßen Vorstellung, der Imagination, der Einbildung, des Hirngespinstes oder der Halluzination verpflanzt werden. Wegen seiner hartnäckigen Weigerung, sich zu erkennen zu geben, seinen Namen zu verraten oder auch einen Namen anzunehmen, ist es daher unmöglich, das „Gespenst“ (…) auf die Kategorie der Lüge oder des dämonischen Trugbildes zu reduzieren: … (Mittmansgruber, S. 78)

Im zweiten Teil, „Das „Adieu“ der Nachrufe“ (S. 111ff), liest Mittmansgruber die Nachrufe auf Jacques Derrida. Dies ist eben und vor allem aufschlussreich, weil es in den Nachrufen oft ostentativ darum geht, ein Ende mit dem Tod Derridas herbei zu rufen.

… Was ist ein Nachruf? Was versteht man unter einem Nekrolog? Gibt es eine Art Nekrologie, ein historisch und kulturell gewachsenes Nachruf-Schema? Und wenn ja: Zwischen welchen Orten ist dieses aufgespannt? Nach welchem Wind richten sich die Segel der Nachrufe und der Nekrolog-Schreiber? (S. 113)

Mittmansgruber leistet mit diesem Teil nicht zuletzt anhand des Einzelfalls Jacques Derrida durchaus einen Beitrag zur Frage nach dem Genre Nachruf, das als einigermaßen schwierig gelten darf. Stellt sich doch mit dem Nachruf auch die Frage nach dem Leser/Hörer oder Adressaten. An wen adressiert sich der Nachruf? Oder soll mit dem Nachruf gar etwas zum Schweigen gebracht werden, was den Nachrufenden zutiefst bewegt, einholt, besetzt? Insofern als Jacques Derrida u.a. mit Les morts de Roland Barthes in der Zeitschrift Poétique, September 1981, selbst einen Beitrag zum Genre des Nachrufs geleistet hat, wäre es Mittmansgruber durchaus möglich gewesen, daran anzuknüpfen. Dies tut er im zweiten Teil aber nicht, sondern geht von einer literaturwissenschaftlichen Sichtung aus.

Gerade mit dem Schreiben einer Pluralität der Tode von Roland Barthes, eröffnet Derrida eine andere Möglichkeit zur Befragung des Nachrufs. Deshalb ist es schade, dass Mittmansgruber unter der Geste des Titels – Das „Gespenst“ und seine Apokalypse Von Jacques Derridas Körper – nicht stärker an diesen andockt. Ist es doch im Feuilleton eine häufig geübte Praxis, ein Ende nicht nur eines Lebens, sondern eines Denkens mit dem Tod auszurufen. Dabei kann vor allem eine beständige Wiederholung eben jener Ausrufung als Nachruf von der gespenstischen Gegenwart eben jenes Denkens künden. Es ist nicht tot zu kriegen. 

 

Torsten Flüh    

          

Mittmansgruber, Markus:

Das „Gespenst“ und seine Apokalypse

Von Jacques Derridas Körper.

Wien 2012

Passagen Verlag.

Preis 29,00 €

 

Inoffizieller Katalog zur Ausstellung:
Moderne Geisterstädte
- Bauwelt 48/2010

 

Spelling Dystopia
Herausgegeben von Nina Fischer, Maroan el Sami
Künstlerbuch

Christoph Keller EditionsJPR Ringier, Sommer 2012
Preis 29,00 €
zu bestellen bei fischerelsami@thing.org

www.fischerelsani.net

 

Katrin Günther - waldsteinwasserbauen
27.08. bis 11.10.2012

Architekturmuseum

der Technischen Universität Berlin

 

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[i] Anm.: Gerade die Kombination der „Geisterstadt“ Ordos mit dem Schönheitswettbewerb „Miss World“ entspricht einem Denken der Prognose. „Miss World“ in Ordos verschneidet die Ideologie eines planbaren, programmierbaren Lebens mit einer Stadt, die gespenstisch leer und voller Versprechen zugleich ist.   

[ii] Mittmansgruber, Markus: Das „Gespenst“ und seine Apokalypse Von Jacques Derridas Körper. Wien 2012.

[iii] Ebend S. 67


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Categories: Medien Wissenschaft

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