Demokratie – Universität – Kapitalismus
Der Finanzkapitalismus und sein Wissen
Demokratie und Gemeinschaft, Jean-Luc Nancy im Gespräch mit Peter Engelmann im HAU1
Ziemlich zum Schluss fragt ein junger Mann aus dem Publikum, ob die Scheine, die er an der Universität für seine Seminare bekomme, vergleichbar seien mit dem Geld im Kapitalismus. Ist die Universität ein kapitalistisches Schein-System? Jean-Luc Nancy hat neben Noam Chomsky und Judith Butler die Online-Petition der protestierenden Studentinnen der Universität Amsterdam unterschrieben. Was heißt denn heute Universität, fragt Jean-Luc Nancy zurück. Erhebt das Universitas aeterna doch den Anspruch auf eine ewig einheitliche Welt, die sich entschlüsseln und vermessen lässt, wie sie in einer berühmten Plakette des Bildhauers Erich F. Reuter 1958 für die Technische Universität Berlin mit zahlreichen Anspielungen auf die mathematischen Lösungsmodelle seit Descartes Bild geworden ist.

An der Universität Amsterdam kritisieren die Studentinnen die Kapitalisierung der Uni und die Abwertung der Geisteswissenschaften als nicht gewinnbringende Fächer. Die Demokratisierung und insofern auch Vergemeinschaftung der Uni als „De Nieuwe Universiteit“ ist ein mit der Kritik verkoppeltes Anliegen. Und der Guardian richtete am 20. April 2015 einen Foto-Blog mit dem Titel Students worldwide fight back against commercialisation of universities – in pictures ein. Unlängst hatten sich Professorinnen an der Charité darüber beschwert, dass nur noch Forschung zähle, die möglichst voluminös von Drittmitteln der Medizin- und Gesundheitsindustrie finanziert wird. Hohe Drittmittel schaffen Wert und Bedeutung von Forschung in Universität und Universitätskliniken.

Wie funktioniert ein Universitätsstudium heute? Wie greifen Schein-System und Veröffentlichungspraktiken für eine Wissenschaftskarriere ineinander? Wer keine Professur hat, muss sich mit Zeitverträgen oder Lehraufträgen durchschlagen und in möglichst hoch eingestuften Wissenschaftsmagazinen veröffentlichen. Neben und als Teil des universitären Schein-Systems macht Karriere, wer möglichst viel, möglichst international, global in von Peer Reviews geregelten Wissenschaftsmagazinen publiziert. Universität und Wissenschaft sind in einem hohen Maße durch eine allgemeine Äquivalenz, wie sie Karl Marx nach Jean-Luc Nancy für den Kapitalismus formuliert hat, verzettelt, verscheint und ökonomisiert. Am Dienstag im HAU kam Jean-Luc Nancy mehr oder weniger direkt wiederholt darauf zu sprechen.

Jean-Luc Nancy gehörte mit Philippe Lacoue-Labarthe selbst einmal zu einer Gruppe von lehrenden und forschenden Philosophen an der Universität Straßburg, Université Marc Bloch, die eine neue, eine andere Universität wollten. Das war 1968, woran er sich in dem im Mai 2014 geführten Gespräch mit Peter Engelmann erinnert, das ganz aktuell im Passagen Verlag unter dem Titel Demokratie und Gemeinschaft erschienen ist. Dabei spielte wohl bereits eine andere Praxis von Gemeinschaft, die Nancy und Lacoue-Labarthe mit ihren Frauen und Kindern erprobten, eine Rolle. Denn wie am Dienstag im nunmehr öffentlich geführten Gespräch im HAU deutlich wurde, hat die Gemeinschaft für den fast 75jährigen Nancy weiterhin eine entscheidende Funktion. Eine Gemeinschaft auch im Sprechendenken, Zu-und-nachhören wie in ihrer Ereignishaftigkeit jenseits von politischen Parteiverortungen:
Für uns ging es nicht darum, eine neue Politik zu machen, sondern darum, sich zurückzuziehen und zu sehen, was in der aktuellen Situation auf dem Spiel steht. Wir haben in den damaligen politischen Richtungen, ob kommunistisch, linksextremistisch oder trotzkistisch, kein Potenzial für etwas Neues gesehen.[1]

Das Dilemma einer anderen Praxis von Universität spielte für Nancy eine entscheidende Rolle in der damaligen Politik- und Parteienlandschaft. Man könnte fast sagen, dass sich seither durch mancherlei Reformen und Bologna-Prozess als einem der Harmonisierung von Studiengängen und Schein-Systemen in Europa an den Universitäten nicht viel verändert hat. Eher schon hat die Harmonisierung zu einer Verscheinung und insofern Kapitalisierung geführt, die das Sammeln der Credits des einzelnen Studenten privilegiert. Julian Nida-Rümelin hat kürzlich Die Verschulung des Geistes # als einen „Prozess der Verschulung und Ökonomisierung der akademischen Bildung“ in diesem Kontext kritisiert. Die europäisch-universitäre Gemeinschaft findet im Scheinerwerb statt und verpasst damit gerade jene andere Praxis von Gemeinschaft, die im von Jean-Luc Nancy über weite Passagen in Deutsch gehaltenem seminarischem Nachdenken im Gespräche sich insbesondere mit der Aufmerksamkeit des Publikums andeutete.

Nancy bewegt sich mit der Frage der Gemeinschaft, die er für ein Verständnis der Demokratie als entscheidend erachtet im Gespräch auf der Bühne des HAU wie im Buch in einem brisanten Terrain. Prominent wird der Begriff der Gemeinschaft in Ferdinand Tönnies epochemachender Schrift Gemeinschaft und Gesellschaft ─ Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen von 1887[2], mit der quasi die Soziologie in Deutschland formuliert wird. Später knüpft die Politologie der 80er Jahre an Tönnies ebenfalls an. Tönnies definierte sich als Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften als links und kritisierte in den 30er Jahren die Politik der Nationalsozialisten. 1933 verlor er als erster seine Lehrbefugnis in Kiel und im September 1933 mit 78 Jahren durch das nationalsozialistische, parteilich und rassistisch definierte Gesetz zum Berufsbeamtentum seinen Beamtenstatus und seine Emeritenbezüge. Gleichzeitig und paradoxerweise wird der von ihm eingeführte Begriff der Gemeinschaft nun gegen ihn verwendet, weil sich die nationalsozialistische Gesellschaft als rassisch und ideologisch homogene Gemeinschaft formuliert.

Der Fall Tönnies muss insbesondere in der gegenwärtigen Debatte im deutschen Feuilleton ─ und nicht nur dort ─ in Erinnerung gerufen werden, weil erstens Tönnies wenig bekannt ist und sich stattdessen mit einem Flachwissen besser über Heidegger streiten lässt, weil viele denken, man könne und müsse nun zu verbrieften Werten zurückkehren.[3] Ein breiteres Comeback in der Politik- und Sozialwissenschaft blieb Tönnies in der 80er Jahren auch deshalb versagt, weil sich schnell sein Begriff der Gemeinschaft als ambivalent erwies. Es ließ sich keinesfalls sozusagen von Links unproblematisch an Tönnies anknüpfen, wie es der Kieler Politikwissenschaftler Wilfried Röhrich als Vizepräsident der Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft in den 80er Jahren vielleicht gern getan hätte.[4] Im Gespräch im HAU erwähnte Jean-Luc Nancy Tönnies für den Begriff der Gemeinschaft, den er dekonstruierte und dies weiterhin tut, um ihn für ein Denken der Demokratie offen zu halten.

Während das Gespräch zwischen Peter Engelmann und Jean-Luc Nancy im Buch eher als chronologische Erzählung von der Entwicklung der Dekonstruktion angelegt ist, nutzte Nancy am Dienstag den öffentlichen Rahmen des HAU stärker dafür, das Denken im Sprechen in Deutsch und Französisch vorzuführen. Peter Engelmann beschränkte sich kalkuliert auf Stichworte. Was gerade als Verortungen beispielsweise der Gemeinschaft oder auch des „Geschicks“ als problematischer Begriff bei Heidegger formuliert wird, wurde von Nancy zwischen den Sprachen pendelnd und ringend in Fragen zur Sprache gebracht. Tendiert die Diskussion um die Schwarzen Bücher von Martin Heidegger derzeit zur Verfestigung einer Verwerfung seines Denkens unter dem Regime einer Political Correctness, so widmet sich Nancy überhaupt einer Kritik der „Teleologie“ in Heideggers Denken.
… Übrigens gibt es in der nächsten Ausgabe von Le Monde einen Heidegger-Schwerpunkt, und ich habe einen Artikel dazu beigesteuert, in dem ich genau dieses Argument entwickle, nämlich dass das Wort „destinerrance“ von Derrida eine Weise ist, mit dem Denken Heideggers dort zu brechen, wo es der Teleologie verhaftet bleibt. Dabei muss man aber auch berücksichtigen, dass Heidegger nur eine gewisse Zeit – etwa von ’39 bis ’42 – Geschichte als Geschick und nicht auch als errance gedacht hat. Anders gesagt, Heidegger hätte damals das Irren der Irrfahrt nur als Irrtum verstehen können. Insofern aber als Heidegger in radikaler Weise die Frage nach dem Sein stellt, bleibt sein Denken für mich das philosophische Ereignis des 20. Jahrhunderts. Ich sehe nicht, wie man das anders beurteilen könnte… (Demokratie und Gemeinschaft, S. 30/31)

Jean-Luc Nancy bringt auf geradezu atemberaubende Weise in seinem Denken zusammen, was im insbesondere deutschen Kontext und Diskurs bisweilen unhinterfragt und dadurch kurzsichtig nicht kontextualisiert wird. Er spricht seit seiner Kindheit neben Französisch auch Deutsch und überspringt dadurch immer wieder Sprachgrenzen. So macht er u.a. das Verhältnis von Globalisierung, Gleichheit, Kapitalismus und das Denken eines Universums, das auf den Anspruch der Universität anspielt, in wenigen Zügen deutlich.
Jean-Luc Nancy: … die Globalisierung erfolgte nicht zufällig auf einen Anfang, sie ist schon im Kern des Anfangs angelegt. Zum Beispiel in der Form des Christentums, das heißt der universellen Religion, der universellen Gleichheit. Bei Marx nimmt diese Gleichheit die Form der allgemeinen Äquivalenz an. Das kapitalistische System ist erfunden worden als eine Weise, ein Universum zu bilden.
Peter Engelmann: Das ist die Logik des Kapitals.
Jean-Luc Nancy: Das hängt meiner Auffassung nach mit etwas zusammen, das man das Regime der Produktion nennen könnte. Im 14. Jahrhundert findet in Europa ein entscheidender Umbruch statt. Zum Beispiel ändert sich das Gewerbe der Münzproduktion grundlegend. Es geht nicht mehr darum, nur für den Haushalt der Fürsten Geld zu produzieren, sondern auch für den Handel, und den Handel so zu praktizieren, dass man mit Geld immer mehr Geld machen kann, es entsteht die Geldwirtschaft, das Verleihen von Geld gegen Zinsen und so weiter. Damit aufs Engste verbunden ist die Geschichte des Antisemitismus. Im Marx’schen Denken wird diese Produktion auf das menschliche Leben ausgeweitet: Das menschliche Leben ist seine eigene Produktion als gesellschaftliche Produktion: Das bedeutet einerseits die völlige Befreiung oder Autonomisierung des Menschen vom Naturzusammenhang – der Mensch als Schöpfer… (Demokratie und Gemeinschaft, S. 32)

Die Universität als Wissens- und Wissenschaftsmodell vertritt gerade in den Forderungen nach einer Systematisierung und Homogenisierung weiterhin das eurozentrische Programm, ein Universum auszubilden, ließe sich mit Nancy formulieren, während gleichzeitig ein Pluriversum existiert, das sich durch keine Einheit einholen lässt. Das ist keinesfalls eine neue Beobachtung, obwohl sie seit geraumer Zeit immer stärker umkämpft wird. Entschieden und kontrovers bis zum Zerwürfnis wird das Universum der Universität bereits mit der Gründung der modernen, humanistisch formulierten Universität als Berliner Universität in den Berliner Abendblättern mit Heinrich von Kleist als Redakteur im Oktober 1810 diskutiert. Die Gründung der Universität findet erstmals ohne Kirche als Staatsakt durch den preußischen Staat als Souverän statt.
Nun hat aber bereits die vormoderne Gesellschaft eine Richtung eingeschlagen, gerade das zu zerstören, denn die Geschichte ist die Geschichte derjenigen geworden, die nicht in diesem sakralen System bleiben wollten, sondern eine vollständige Autonomie des Staates beanspruchten. Das kennzeichnet die ganze moderne Staatstheorie, die Theorie der Souveränität von Jean Bodin und anderen, vielleicht muss man sogar Machiavelli schon dazuzählen. (S. 35/36)

Peter Engelmann schreibt in seinem Nachwort, er sehe in Nancy neben Alain Badiou, Slavoj Žižek und Colin Crouch den „wichtigsten Autor für (die konstruktive) Weiterentwicklung der Dekonstruktion“. (S. 105) Die paradoxe Formulierung einer Konstruktivität für die Dekonstruktion behauptet nicht, dass Nancy schon Lösungen formulierte. Vielmehr geht es darum, wieweit er mit seinen Fragen in die Konstruktionen von Staat, Recht, Universität und Universum vordringt. Das wird u.a. in seiner Antwort auf die Frage nach der Substanz lesbar:
Mit Substanz meine ich hier, dass Rom sich als etwas imaginieren konnte, dass es vorher nicht gab, nämlich als die Welt. Anders als beispielsweise Athen, Sparta oder Karthago ist Rom nicht an eine bestimmte Ethnie oder Lokalität gebunden. Rom gründet und begründet sich selbst. Deshalb besagt die Legende, dass Rom zwar Könige hatte, diese aber auch entthronen konnte. Rom ist die Erfindung des Rechts. Das Recht meint hier sowohl ein Mittel als auch einen Zweck: Wenn man dem römischen Recht untersteht, ist man Römer. (S. 36)

Entscheidend für die Dekonstruktion, wie sie von Nancy in Gemeinschaft mit Lacoue-Labarthe entwickelt wurde, ist die Aufmerksamkeit für die Sprache und Frage des Zeichens. Die Zeichenfrage und was das Zeichen bezeichnet, führt die Philosophie und das Philosophieren an eine Schnittstelle mit der Literatur. Nancy und Lacoue-Labarthe institutionalisierten diese Fragestellung als erste mit einer Forschungsgruppe. Was die Literatur bezeichnet und von was spricht, wird zu einer weitreichenden Forschungsfrage, die es nicht zuletzt und insbesondere Joseph Vogl als Literaturwissenschaftler am Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin erlaubt, nach dem Kapital und Kapitalismus angesichts des Finanzkapitalismus in Das Gespenst des Kapitals (2010) oder der Souveränität in Der Souveränitätseffekt (2015) zu schreiben.
Wir wollten uns mit der Sprache, mit dem Zeichen beschäftigen, und so haben wir die Groupe de recherche sur le théorie du signe et du texte gegründet. (S. 44)

Konstruktiv wird Nancy, wenn er das Problem der Gemeinschaft als eines der Identität formuliert. Denn Identität wird meistens als Ausschließung zur Sprache gebracht. In dem Maße wie die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft als Identität verstanden wird, in der eine homogene Gemeinschaft der Araber oder der Moslems oder Franzosen oder Katholiken imaginiert wird, kommt es zum Zwang, den anderen Teil auszuschließen. Die Ausschließlichkeit von Glaubensgemeinschaften, zu denen durchaus die Humanisten im Humanistischen Verband Deutschlands gehören können, verlangt ein ausschließendes Identitätsmodell, das als Recht der Gemeinschaft verstanden wird.
Die Gemeinschaften stellen einander gegenseitig infrage, weil verschiedene Zugehörigkeiten miteinander konkurrieren. Daraus ergibt sich für die Menschen das Problem ihrer Identität. Man fragt sich: Bin ich eher Araber oder Moslem, kann man Araber sein, ohne Moslem zu sein? Bin ich in der Hauptsache Franzose oder Katholik? Das spielt zum Beispiel in der aktuellen Debatte über die gleichgeschlechtliche Ehe in Frankreich eine große Rolle. Grundsätzlich kann man sagen, dass Europa sich zunehmend weniger als Glaubensgemeinschaft begreift. (S. 98/99)

Bei Nancy klingen viele Themen und Fragen an, die er vor allem in ihrer Zweideutigkeit bedacht wissen will. Es geht nicht darum schlechte gegen gute Konstruktionen auszutauschen. Vielmehr sollen die Begriffe, und was mit ihnen verstanden wird, in einem Modus der Schwebe, der Widersprüchlichkeit durchaus und Vieldeutigkeit bleiben oder versetzt werden. Denn jegliche Festschreibung birgt die Gefahr einer totalisierenden Geste.
Das Feld des Politischen war immer von einer gewissen Zweideutigkeit gekennzeichnet: Einerseits verlangt man von der Politik schlicht die Regulierung der sozialen Kräfte und Interessen. Andererseits aber sollte die Politik auch der Name sein für genau das, was wir Gemeinschaft genannt haben, für einen Sinn oder Geist. (S. 99)

So wird von ihm nicht zuletzt der Begriff Gott in seiner Ambivalenz für die Demokratie und als ihre Erweiterung ins Spiel gebracht. Das mag zunächst überraschen. Doch es ist kein Gott oder kein Kapitalismus, wie wir ihn zu kennen glaubten, von dem Nancy spricht. Die Mitteilung des Sinns in einer Gesellschaft funktioniert eben nicht in Wissensmodi, sondern unterläuft diese. Befehlsförmige Sinnkonzepte sind ebenso schwierig wie die Leugnung Gottes.
Aber mit Heidegger erfährt sie eine Zuspitzung, wenn er in seinem berühmten Gespräch mit dem Spiegel sagt, dass auch die Demokratie uns nicht retten könne, sondern nur ein neuer Gott. Was heißt das? Manche habe die offensichtlichste Konsequenz gezogen und von Heideggers Wende zur Religion gesprochen. Aber ich glaube nicht, dass die Dinge so einfach liegen. Heidegger war klüger als das. Mit Gott kann hier nur die Möglichkeit benannt sein, dass in der Gesellschaft irgendwie ein Sinn mitgeteilt werden könne. Das liegt auf der gleichen Schiene wie das Diktum Pascals, wonach der Mensch unendlich den Mensch übersteige. (S. 100)

Mit Demokratie und Gemeinschaft geht es Nancy und Engelmann darum, gerade jene Wissenskonzepte zu hinterfragen, die u.a. für den Finanzkapitalismus immer schon Lösungen parat haben oder den Kapitalismus als eine noch junge bekämpfenswerte Verfehlung ausmerzen wollen. Lässt sich doch beobachten, dass die Neologismen des Finanzkapitalismus oder Finanzmarkt-Kapitalismus in der Soziologie eine Verschiebung des Kapitalismus zu fassen suchen, der sich nach Nancy beispielsweise bereits seit dem 14. Jahrhundert im Umbruch mit der Münzproduktion beobachten lässt. Die Stabilitätsmodelle, die in der Nachkriegszeit mit der Währungsordnung und den Wechselkursbandbreiten implementiert wurden, die Helmut Schmidt unablässig als Versprechen der Vergangenheit herbeizitiert, die gerne gehört und noch beliebter als eigenes, identitätslogisches Wissen wiederholt werden, funktionieren eben auch nur als wohlfeile Erzählungen vom Kapitalismus, wenn nicht mehr gefragt wird. ─ Auf Der Souveränitätseffekt von Joseph Vogl wird zurückzukommen sein.
Torsten Flüh
Jean-Luc Nancy
Demokratie und Gemeinschaft
Im Gespräch mit Peter Engelmann
Herausgegeben von Peter Engelmann
Erschienen 2015, Aufl. 1
ISBN 9783709201596
208 x 122 mm
112 Seiten
Preis 14,90 EUR
Joseph Vogl
Der Souveränitätseffekt
320 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag, 4 sw. Abb.
ISBN 978-3-03734-250-3
€ 24,95 / CHF 32,50
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[1] Nancy, Jean-Luc:Demokratie und Gemeinschaft. Im Gespräch mit Peter Engelmann. (Herausgegeben von Peter Engelmann) Wien 2015. S. 46
[2] Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen. Leipzig 1887 (Deutsches Text Archiv)
[3] Anm.: Dies gilt beispielsweise prominent für die Rezension von Alexander Cammann zu Joseph Vogls Buch Der Souveränitätseffekt vom 7. März 2015 in DIE ZEIT. Der Publizist Alexander Cammann verwirft Vogls literaturwissenschaftlichen Essay zur Finanzökonomie und zum Kapitalismus mit der vermeintlich faschistischen Verortung durch den „berühmt-berüchtigte Staatsrechtslehrer Schmitt“. Das zieht immer. Liest man allerdings Marx, dann werden die Funktionen von allgemeinem Äquivalenz, Gemeinschaft und Souveränität für den Kapitalismus deutlich, worauf auch Jean-Luc Nancy hinweist.
[4] Anm.: Der Berichterstatter kann sich an ein Seminar zu Ferdinand Tönnies bei Wilfried Röhrich erinnern, die dazu entstandene Arbeit verzettelte sich nicht zufällig in der historischen Forschung zum Umfeld bei Cay Baron von Brockdorff, einem Schüler von Tönnies, der 1933 Mitglied der NSDAP wurde. Brockdorff pflegte u.a. zeitweilig einen Briefwechsel mit dem Kaiser im Exil in Doorn.
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