Pornographie – Frauenbewegung - Biographie
Bildersturm queer gesehen
Zur Ausstellung Krista Beinstein: BIO PORNO FOTO GRAFIEN im Schwulen Museum*
Noch bis Ende Februar lädt das Schwule Museum* zur von Birgit Bosold und Claudia Reiche kuratierten Ausstellung Krista Beinstein: BIO PORNO FOTO GRAFIEN ein. Die Ausstellung ist eine mit Sternchen. Denn der Name des Museums mit Sternchen weist daraufhin, dass es mehr als eine schwule oder queere Identität gibt, mit der sich Biografien schreiben lassen. Die Fotografin Krista Beinstein erkundet mit ihren Arbeiten seit über 30 Jahren das Archipel queerer Identitäten nicht nur mit dem Fotoapparat. Sie praktiziert vielmehr ihre Fotografie als Sex, setzt Toys und Posen ein, konstruiert und dekonstruiert Frauen-Bilder, indem sie sich z.B. in der Serie Schwule Ladies (1985) mit Mannsbildern überschneiden. Schwule Ladies sind Frauen, die wie schwule Biker aussehen, die als harte Kerle posen.
Sexuelle Praxis, Leben als Kunst sowie die Erzählungen vom gelebten Leben überschneiden sich bei Krista Beinstein auf einzigartige Weise. Das wurde einmal mehr bei der Führung von Claudia Reiche zur Ausstellung BIO PORNO FOTO GRAFIEN Mitte Januar deutlich. „Vielleicht sollte man ein entspannendes Bad nehmen“, hatte Krista Beinstein einmal subtil gefragt, woran Reiche mit ihrer multimedialen Führung anknüpfte. Denn – auch das gehört zur Krista Beinstein-Überschneidung von Leben, Sex und Fotografieren – in den 80er und 90er Jahren wurde sie mehrfach für das regionale Fernsehen in Hamburg interviewt und um 23:32 Uhr gesendet, fand die Aufmerksamkeit von Lilo Wanders in Wa(h)re Liebe auf Vox und in St. Pauli kam es 1986 zu einem „Bildersturm“ auf ihre Ausstellung, wozu in der Presse ausführlich berichtet wurde. Krista Beinstein wurde zur Protagonistin der verbotenen Frauen-Bilder.
Beim Bildersturm, den Krista Beinstein anlässlich einer Ausstellung in St. Pauli erleben musste, geht es nicht so sehr darum, wer in der Zerstörung von Bildern recht hat, vielmehr geht es um die Macht der Bilder, die so sehr verletzen können, dass sie zerstört werden müssen. Warum? Bilderstürme sind das Schlachtfeld von Identität, Politik und Ideologie. In der Rückschau wirken sie allerdings immer ein wenig unverständlich. Mehr oder weniger deutlich finden Übertragungen statt. In den Bildern kristallisiert sich ein Konsens oder gerade der Kampf. Es geht vermeintlich um alles, was tief sitzt.
Ein aktuelles Beispiel für den Kampf der Bilder, noch bevor deren Geschichten erzählt werden, wäre der Auftritt von Jackie Evancho bei der Amtseinführung des 45. Präsidenten. Entscheidend war nicht, dass die junge Sängerin bereits für Obama aufgetreten war, vielmehr ging es der Bildregie der Trump-Administration darum, das Bild der Sängerin und jungen Frau für die neue Ära zu kreieren. Jackie Evanchos Star Spangled Banner – weiß, blond, 16jährig, in weißem Kleid, die Unschuld vom Lande … – war nicht nur akustisch, sondern als Bild von Frau ein Bruch und eine Kampfansage an Gender-Debatten und Queerness. So wurde es zumindest von ihrer älteren Transgender-Schwester und der LGBTI*-Community kritisiert.[1] Eine junge Frau, vor der weiße Männer sich nicht fürchten, sondern in der sie ihre Phantasien und Ideologie verkörpert sehen.
Gleich einer barocken Wiederkehr längst veralteter Bildprogramme, kehren aktuell Bilder zurück, die identitätslogisch äußere Merkmale und Zeichen zum Träger des Rechts erklären. Darin liegt brandaktuell die andere Haltung von Krista Beinstein. Beinsteins Frauen sind immer auch zum Fürchten. Denn sie arbeitet mit ihrer Foto-Porno-Grafie gegen die Verschränkung von Bild und Identität. So entzieht sie sich seit den 80er Jahren, sich eine Identität zuschreiben zu lassen. Slavoj Žižek hat anlässlich seiner Mosse-Lecture zum Populismus im Oktober 2016 auf das Problem der Identitätspolitik in den USA aufmerksam gemacht. Doch bereits Heinrich von Kleist stellte im November 1810 mit seiner „Legende“ Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik in den Berliner Abendblättern die „Bilderstürmerei“ in den Kontext von Bild, Geschichte, Zeichen, Lesen und Identität.[2]
In der Legende kommt die Musik und ihre Gewalt den „drei Brüder(n), junge in Wittenberg studierende Leute, mit einem Vierten“ ihrem Bildersturm derart dazwischen, dass sie nicht nur nicht ihr bilderstürmerisches Werk vollenden können, sondern auf rätselhafte Weise verstört werden. Der Bildersturm findet auf seltsame Weise nicht statt. Doch es lassen sich auch keine Zeichen in der „Partitur“ ergründen, weshalb die Bilderstürmer verstört wurden. Das Lesen in der geheimnisvollen Partitur kann nicht darüber Aufschluss geben, was die vier Bilderstürmer geistig nachhaltig verletzt hat. Diese Wendung der Legende ist deshalb paradox, weil nach der christlichen Lehre, genauer Johannes 1,14, das Wort Fleisch geworden ist.
...: stand, lebhaft erschüttert, die Frau auf, und stellte sich, von mancherlei Gedanken durchkreuzt, vor den Pult. Sie betrachtete die unbekannten zauberischen Zeichen, womit sich ein fürchterlicher Geist geheimnisvoll den Kreis abzustecken schien, und meinte, in die Erde zu sinken, da sie gerade das gloria in excelsis aufgeschlagen fand.[3]
Die „unbekannten zauberischen Zeichen“ erschrecken und durchkreuzen in Kleists Legende, bei der es mit dem lateinischer Verb lego/ich lese dem Genre nach um das Lesen selbst geht, das Konzept der Identität. Die Legende vom Bildersturm, den Zeichen und der Musik unterläuft die Identität. Kleist signiert sie mit „yz“ als den beiden letzten, auch rätselhaften Buchstaben des Alphabets. Das wirft einen Bogen zurück auf die Unterzeichnung des Eröffnungstextes der Berliner Abendblätter, Gebet des Zoroaster, mit „x.“. Das Ausbleiben des verabredeten „Zeichen“ rettet die Bilder. Es braucht eines kommandoartigen Zeichens, damit der Sturm auf die Bilder beginnt. Stattdessen verstört die Musik in Kleists Legende die Bilderstürmer, ohne dass sich dafür ein Zeichen finden lässt.
Sie verabredeten jubelnd ein Zeichen, auf welches sie damit anfangen wollten, die Fensterscheiben, mit biblischen Geschichten bemalt, einzuwerfen; und eines großen Anhangs, den sie unter dem Volk finden würden, gewiß, verfügten sie sich, entschlossen keinen Stein auf dem anderen zu lassen, als die Glocken läuteten, in den Dom.[4]
Auf andere und doch ähnliche Weise ging es bei Beinsteins Ausstellungen um das Zeichen. Sie wurde, wie die Zeitung schrieb, von einer „Selbsternannten Kiez-Miliz", von militanten Aktivistinnen gestürmt. Die fotografischen Inszenierungen wurden von der Wand gerissen. Im Tumult des Bildersturms löste sich ein Schuss aus der Pistole eines Polizisten. – Verletzt wurde niemand. Und doch war das Ereignis traumatisch, politisch und identitätspolitisch. Aus dem geschlechtlichen Spiel mit der Kamera heraus, waren Fotos entstanden, die das Bild der Frau überschritten hatten. Als entscheidende Protagonistin eines politisch korrekten Frauenbildes hatte sich Alice Schwarzer pointiert und identitätslogisch schon vor dem 1. Dezember 1987 mit dem Artikel Die Würde der Frau ist antastbar gegen Pornographie ausgesprochen. Der Artikel gilt heute noch als eine Art schwieriger Meilenstein der Frauenbewegung und Pornographie-Debatte.
Was da lebensbedrohlich auf uns zukommt, das ist die Pornografisierung der ganzen Sexualität, ja der gesamten Geschlechter-Beziehungen. Es geht bei der Pornografie nicht um Lust. Es geht um Macht. Dass Männer nur zu gern Lust mit Macht verwechseln, ist bekannt. Die herrschende Sexualität hat der Lust weitgehend den Garaus gemacht. Eros liegt plattgewalzt unter den Rädern der Sexmaschine.[5]

Die „Pornografisierung der ganzen Sexualität“, die Alice Schwartzer angesichts „jede(r) dritte(n) ausgeliehene(n) Videokassette“ konstatierte, erklärte Pornographie per se als frauenfeindliches Verhalten, das bekämpft werden musste. Als besonders verwerflich galten Darstellungen von Gewalt. „Immer mehr wird die Porno-Produktion zur Gewalt-Porno-Produktion. Jeder Bürger ein de Sade. Das ist Demokratie im Patriarchat.“[6] Als Frau politisch zu sein, formulierte Alice Schwarzer geradezu gesetzgeberisch für Frauen, schließt Pornographie als Praxis aus, weil sie dem Patriarchat in die Hände spielt. In dieser aufgeheizten Debatte tat Krista Beinstein das Andere, das geradezu kriminalisiert wurde. Sie fotografierte als Frau mit einem Dildo Frauen, wobei die fotografische mit einer sexuellen Erforschung verkoppelt wurde. Vor allem fotografierte sie Schwule Ladies mit Gummischwänzen. Der Dildo in der fotografischen Inszenierung störte gewaltig. Das widersprach deutlich dem Frauenbild der EMMA. Anders gesagt: Wer Pornos sieht oder macht, kann keine Frau sein.

Das Bild der Frau, um das in den 80er Jahren heftig, ja, militant unter Frauen gekämpft wurde, inszenierte Krista Beinstein aus einem Begehren heraus – Obszöne Frauen (1986) –, das im Kosmos der Bilder von Weiblichkeit nicht vorkommen sollte. Wie konnte das falsch sein, was sie begehrte und einvernehmlich mit Frauen, Freundinnen, Geliebten praktizierte, wenn es sich sozusagen aus beiläufigen Gesprächen, Fragen, Antworten und dem doppelten Spiel vor und hinter der Kamera wie von selbst ergab? War das eine Schwarzersche „Sexmaschine“ oder die Erforschung von wechselnden Identitäten?
Die durchaus aggressive Diskussion verlief darüber, ob Frauen eine positive Einstellung zur Ausübung sexueller Praktiken haben durften oder nicht. Das Bild der Frau hatte sich paradoxerweise in der Frauenbewegung in ein gewaltfreies, geschlechts- und körperloses verkehrt. Blümchensex statt Lederkluft. Filmemacherinnen wie Ulrike Ottinger mit Filmen wie Madame X – eine absolute Herrscherin (1977) und Monika Treut mit Verführung: Die grausame Frau (1985) oder die Schriftstellerin Ginka Steinwachs mit George Sand – eine frau in bewegung, eine frau von stand (1980) sowie die Verlegerin Claudia Gehrke mit ihrem konkursbuch verlag und dessen Jahrbuch Mein heimliches Auge – Jahrbuch der Erotik, von dem aktuell die Nummer 31 erschienen ist, positionierten sich gegen eine Festschreibung des Frauenbildes.
Das Frauen-Bild, das durch die Mehrheit der Frauenbewegung als verbindlich definiert wurde und als neues gelten sollte, knüpfte nicht nur zufällig an die Diskussion um ein neues Menschenbildes in der Moderne nach der Jahrhundertwende an. Rosa Luxemburg wurde zu einer ihrer identitätspolitischen Vorbilder, denen es zu folgen galt. Dabei kam es durchaus zu Übertragungen von Liebe als einem weiblichen Begehren auf insbesondere eine Fotografie von Rosa Luxemburg mit Clara Zetkin, die sich aus Liebesbriefen nicht lesen ließ. „Clara Zetkin und Rosa Luxemburg auf dem Weg zur Tagungsstätte des Parteitags der deutschen Sozialdemokratie in Magdeburg vom 18.-24. Sept. 1910“ (siehe Bundesarchiv) Das Foto der Freundinnen Clara Zetkin und Rosa Luxemburg gleich einem Paar eingehakt ließ ein anderes Geschlechterbild sichtbar werden. Wie Mann und Frau sahen Clara und Rosa auf der Fotografie aus. Und schemenhaft geht tatsächlich eine Frau einen Mann hinter ihnen untergehakt.
Die Ausstellung Krista Beinstein: BIO PORNO FOTO GRAFIEN eröffnet retro-spektiv, wie die Fotografin aus ihrer Praxis der Fotografie andere Frauen-, Wunsch-Bilder generiert. Paradoxerweise wurde/wird ihre weibliche Inszenierung der Frauen, von Frauen als Angriff auf die Weiblichkeit wahrgenommen, weil das Sex-Toy mit dem Symbol der Macht verwechselt wird. Nicht zuletzt mit der berühmten Fotografie von Clara Zetkin und Rosa Luxemburg lässt sich bedenken, wie geschlechtliche Bilder und Bilder vom Geschlecht erzeugt werden. Das zeichenhafte Toy wurde und wird von Krista Beinstein beispielsweise wie ein Handmikrophon zum Scherz und Spiel genutzt. Warum sollten queere Frauen nicht mit einem Toy spielen?
In einer weiteren Drehung wird das Toy von Männern als Angriff auf die Männlichkeit gesehen, verstanden. Wenn sich der „Schwanz“, „das beste Stück“ und dergleichen Namen mehr spielerisch von Frauen für Frauen queer benutzen lässt, verliert es durchaus seine Macht und wird der Lust geopfert. Inches oder Zentimeter werden lächerlich, weil sie sich aus Latex auf beliebige Länge verlängern lassen. Der Penis lässt sich mühelos und auf vielfältige ersetzen, was ihn entschieden entzaubert. Er verliert seinen Zauber, seine Macht. Krista Beinstein zaubert queer auf diese Weise mit der Entzauberung. Sie spielt mit dem plastischen Zeichen, das entzaubert wird. Narzisstische Kränkungen identitärer Männer und Frauen inbegriffen.
Torsten Flüh
PS: Deshalb findet Donald Trump Madonna „eklig“. Und deshalb sind Krista Beinsteins Fotos brandaktuell.
Schwules Museum*
Krista Beinstein:
BIO PORNO FOTO GRAFIEN
bis 27. Februar 2017
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[2] yz (Heinrich von Kleist): Die heilige Cäcilie oder die Gewalt. In: Heinrich von Kleist: Berliner Abendblätter I, Sämtliche Werke, Brandenburger Ausgabe II/7. Basel/Frankfurt am Main: Stroemfeld, 1997, S. 203.
[3] Heinrich von Kleist: Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik. In Kleist: Sämtliche Werke. Hrsg. von Roland Reuß und Peter Staengle. Brandenburger Ausgabe. Bd. III/5. Basel; Frankfurt am Main: Stroemfeld/Roter Stern, 1997, 100-101.
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