Oktobern als Befreiung und Disziplinierung des Menschen - Das sowjetische Experiment und Der Neue Mensch

Mensch – Oktoberrevolution – Medien

 

Oktobern als Befreiung und Disziplinierung des Menschen 

Zur Ausstellung Das sowjetische Experiment und der Filmedition Der Neue Mensch

 

Im Oktober jährt sich zum einhundertsten Mal der Jahrestag der Oktoberrevolution. Eine Ausstellung mit Collagen von Ivan Kulnev, die mit einem Podiumsgespräch mit Jörg Baberowski, Freya Klier und Hubertus Knabe in der Moderation von Sven Felix Kellerhoff am Dienstagabend in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung eröffnet wurde, und eine Filmedition ermöglichen nicht nur die Erinnerung zum 100. Jubiläum wie seine historischen Folgen, sondern eine Debatte über das Projekt des Neuen Menschen in seiner Realisierung als „Sowjetmensch“. Denn anders als bislang unter ideologischen oder rein historischen Perspektiven gewinnt das ambivalente Experiment am Menschen heute eine medienpraktische Relevanz.

 

Kurz gesagt: 1917 konnten die Menschen in großen Teilen Russlands und Europas nicht lesen. Analphabetismus erschwerte oder verhinderte gar die Verbreitung des modernen Wissens vom Menschen. Heute wollen sie nicht lesen und wandern zu Millionen von Facebook und Twitter zu Snapchat mit 158 Millionen täglich aktiven Nutzern weltweit. Bilder und Schriftdesign sowie allen voran der Film wurden spätestens ab 1921 unter ständigen Debatten zu Verteilern neuer Erzählungen und Bilder vom Mensch. Das Projekt einer Befreiung des Menschen, das weit in die Aufklärung zurückreichte, wurde mit den neuen Medien erstmals zur Staatsdoktrin, um ihn gleichzeitig in industriellen Arbeitsprozessen als Produktivkraft im Dienste Aller nicht zuletzt nach dem Modell des amerikanischen Taylorismus zu optimieren und zu disziplinieren.

 

Alexander Schwarz und Rainer Rother haben in der filmedition suhrkamp mit Der Neue Mensch. Aufbruch und Alltag im revolutionären Russland gerade eine Zusammenstellung von konstruktivistischen Filmen der frühen Sowjetunion wie Kino Prawda bzw. Film-Prawda 18 von Dsiga Wertow vom März 1924 herausgegeben. Dieser Wochenschau-Stummfilm lässt sich bislang nicht im Internet finden. Er ist ein besonders treffendes Beispiel für die Verschränkung von Erzählung und Medien durch Film und Grafik, insofern er mit der „Oktobertaufe“ als sowjetische Taufe eines Neugeborenen in einer Werkstatt oder Fabrik während einer Arbeitsunterbrechung endet. So wird die Übergabe des Neugeborenen von der Mutter (мать) an den Pionier (пионеEрy) etc. in Zwischentiteln des Stummfilms durch einen Pfeil formuliert, was sich sprachlich als „Die Mutter übergibt an den Pionier“ usw. übersetzen ließe.[1]

 

кино правда 18 als Wochenschau von 13 Minuten auf der DVD kündigt ebenso die Wahrheit im wie für das Kino der „Allunion“ nach dem postrevolutionären Bürgerkrieg an. Dsiga Wertow formuliert die „Wahrheit“ (ПРАВДА) des Films im Untertitel maschinell mit „der Filmkamera“. Anders gesagt: Die Wahrheit der Filmkamera als Maschine ersetzt den Autor als Filmregisseur: 

Ein Lauf der Filmkamera 

von 299 Metern in 14 Min. 50 Sek. 

Richtung sowjetische Wirklichkeit 

Eine Arbeit von Dsiga Wertow [2]

 

Der Film kommt allerdings hierbei nicht nur als „Filmkamera“ wie in der Übersetzung, sondern als Bewegung des Titels bzw. im Titel als „кино-аппарат“, kinetischer bzw. wörtlich Kino-Apparat vor.[3] Die letternweise Erscheinung des Untertitels ist dabei so animiert, dass „Richtung sowjetische Wirklichkeit“ gegen das chronologische Lesen topologisch vor „von 299 Metern in 14 Min. 50 Sek.“ erscheint. Der „Lauf der Filmkamera“ beginnt mit einer Kamera- und Fahrstuhlfahrt auf den Eiffelturm „anlässlich des Todes seines Erbauers“, Gustave Eiffel am 27. Dezember 1923, um dann auf die „Landung der Kamera auf dem Territorium der UdSSR“ zu schneiden. Das „Territorium“ ist ein abgeernteter, karger Acker.

 

Was die „КИНО-АППАРАТ“ Wertows mit dieser Eröffnungssequenz szenisch erzählt, ist indessen gerade kein „Lauf … Richtung sowjetische Wirklichkeit“, sondern wird durch eine Schnittfolge vor allem Montage von Bildwissen als Wahrheit. Die Fahrstuhlfahrt als Kameralauf auf den Eiffelturm erzählt vom Aufstieg der Industrialisierung durch Eisenkonstruktionen und Elektrizität. So gerät auf der „Zweite(n) Plattform“ als Einzeleinstellung das Palais du Trocadéro von der Weltausstellung 1900 in den „Kameralauf“, welches zugleich die französische Eroberung der Halbinsel Trocadéro vor Andalusien wie den weltweiten französischen Kolonialismus in seiner Architektur feierte.   

 

Wertow formuliert in seiner Kamerafahrt vom Aufstieg auf den Eiffelturm anlässlich des Todes von Gustave Eiffel Ende 1923 für die Wochenschau im März 1924 durch Schnitte und Montage erstens den Erfolg und die Macht der Industrialisierung, zweitens die territorial-koloniale Macht Frankreichs in der Welt in scharfem Kontrast zum bäuerlichen Russland. Für das Kino-Publikum wird vor allem eine Aufwärtsbewegung im Kontrast zu einer Abwärtsbewegung bei der holprigen Landung auf einem landwirtschaftlichen Acker ebenso faszinierend wie einleuchtend gewesen sein. Dafür brauchte es kaum Worte bzw. Alphabetisierung, vielmehr wird sie durch den Wechsel der Bilder mit den Zwischentiteln automatisch vorgenommen.

 

Mit dem „КИНО-АППАРАТ“ als Bewegungsapparat generiert Dsiga Wertow im linearen Auf- und Abstieg vor allem eine deutliche Binarität von der fast schwindelerregenden, gleitenden Auffahrt zur Spitze des Eiffelturms zur holprigen Landung auf dem „Territorium der Sowjetunion“. Die filmische Generierung der nicht zuletzt emotional kränkenden Aufwärts-Abwärts-Bewegung funktioniert ebenso kalkuliert wie überwältigend. Die Notwendigkeit einer Änderung der ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse 1924 wird folgerichtig im Hauptteil der КИНО ПРАВДА 18 mit Kamerafahrten in der Stadt etc. und den Montagen von der Landwirtschaftsausstellung visualisiert. Den finalen Höhepunkt bietet in mythologischer Anknüpfung an die Oktoberrevolution die „Oktobertaufe“.[4]

 

Die auf einem Plakat angekündigte und rahmend wiederholte „октябрьины“ (Oktobertaufe) wird nun als Ritus wie als Begriff neu formuliert und visualisiert. Der Neologismus „ОКТЯБРЬИНЫ“ ist ebenso grafische Plakatkunst wie Wortmontage, der sich auch als Oktobern übersetzen ließe. Das Neugeborene wird mehrfach mit dem Namen „Wladimir“ gerufen. Doch das neue Taufritual, das die Kirche bzw. den orthodoxen Ritus ersetzen soll, wird durch eine Übergabe des Neugeborenen und damit seine Sowjetisierung oder Verstaatlichung symbolisch formelhaft vorgeführt wie es Alexander Schwartz mit den Übersetzungen ausformuliert: „Die Mutter übergibt an den Pionier.“ „Der Pionier übergibt an den Komsomolzen.“ „Der Komsomolze an den Kommunisten.“ „Der Kommunist an die Mutter“.

 

Der Übergaberitus als Oktobern oder „Oktobertaufe“ wird innovativ wie konstruktivistisch-linear rein grafisch durch Pfeile formuliert. „Mutter → Pionier Pionier → Komsomolz Komsomolz  → Kommunist Kommunist → Mutter“. Richard Stites hat in seinem Buch Revolutionary Dreams: Utopian Vision and Experimental Life in the Russian Revolution 1989 an das „Octobering“ (Oktyabrina) als Ritus einer „Godless Religion“ erinnert.[5] Wertows Kino-Wahrheit 18 stand ihm als Quelle offenbar nicht zur Verfügung. Die Arbeit der Männer an den Maschinen in einer Fabrik oder eher Künstlerwerkstatt wird um vier unterbrochen, damit das Neugeborene und sein Leben in den kollektiven Arbeitsprozess eingespeist werden kann. Wenige Jahre später wird der hier noch als Kreislauf formulierte Vorgang vom Staat bzw. „dem Kommunisten“ unterbrochen. Der kommunistische Staat bemächtigt sich der Neugeborenen wie in Tengis Abuladses Film მონანიება/Reue (1984) total.[6] Und das „Verhaltensdesign“ wird in Pawlows Instituten an Hunden und Waisenkindern weiterentwickelt.[7] Das Oktobern lässt sich mit Wertow als Taufe oder Initiationsritus des sowjetischen Menschen wie Lebens verstehen.  

 

Die insgesamt 8 Filme zwischen Alltags- und Lebenskonstruktion auf den beiden DVDs von Alexander Schwarz‘ und Rainer Rothers Der Neue Mensch sind von unterschiedlicher Länge zwischen 7,3 und 108 Minuten. Sie stecken einen Zeitraum von 1924 mit Kino-Prawda 18 bis 1932 mit Wlastelin byta (Beherrscher des Alltags) von Aleksandr Ptuschko ab. Im Begleitheft mit einem Essay von Alexander Schwaz unter dem Titel Euphorie, Alltag und Illusion im sowjetischen Film zwischen Revolution und Stalinismus (1924 bis 1932) werden die Filme mit einem stark positiven Unterton als „epochale Aufbruchsstimmung, (…) Experimentierfreude und (…) Allmachtsgefühl“ auf eher traditionelle Weise eingeordnet.[8] Dass in der „technische(n) Konstruktion des Neuen Menschen mit filmischen Mitteln, des »elektrischen Jünglings«, aus Wertows Kinoki-Manifest (1922)“[9] bereits ein Schrecken der „technische(n) Konstruktion“ eingebaut sein könnte, wird nicht erwähnt. 

Der wahrhaft neu(geboren)e Mensch wird in der zweiten Hälfte der FILM-PRAWDA 18 zur Oktjabrina in die Fabrik gebracht: ein säkulares Ritual der Taufe und Patenschaft, mit der der neue »rote Bürger« Wladimir und seine Mutter, die Arbeiterin, symbolisch eine Verbindung mit den Jungen Pionieren, der Jugendorganisation Komsomol und der kommunistischen Partei eingehen (…).[10]

 

Die sprachlichen, grafischen und bildlichen Konstruktionen werden zur staatlichen Doktrin des „Neuen Mensch“ oder „Sowjetmenschen“, um einen Begriff, den der bundesdeutsche Publizist und Professor für Politische Wissenschaften Klaus Mehnert 1958 eingeführt hat, medienkritisch zu wenden. In den Künsten wie Literatur, Malerei, Musik, Fotografie und Film wird ein Bild vom neuen Menschen designt, das nicht nur die Befreiung der Arbeiterklasse, der Frauen und der Homosexuellen während der Phase der Neuen Ökonomischen Politik in der Sowjetunion verspricht, sondern zugleich mit der Konstruktion der neuen Rollen unter dem Primat der industriellen Produktion diszipliniert, homogenisiert und versklavt. Frauen wie Homosexuelle u. a. werden allein im Apparat, in der Staatsmaschine gelitten, insofern sie sich dieser unterwerfen und darin verschwinden. Ivan Kulnev erinnert daran z.B. mit seiner Collage Die Farbe des Granatapfels (2017). 

 

Während der Eröffnung der Ausstellung Das sowjetische Experiment – 100 Jahre Oktoberrevolution mit Collagen von Ivan Kulnev in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung herrschte auf auch simplifizierende Weise Einigkeit über das Misslingen des Experiments als kommunistisches Projekt. Doch das Experiment lässt sich historisch nicht als nur eine Frage des Kommunismus einordnen, sondern der Moderne und des Staates seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Medienhistorisch muss man nämlich für das Projekt des Neuen Menschen bereits bei Johann Wolfgang Goethes Hymne Prometheus von 1772 ansetzen. Wenn nicht zum ersten Mal, so doch äußerst prominent „formt“ hier ein Ich „Menschen nach meinem Bilde, ein Geschlecht, das mir gleich sei“. Es formuliert im Selbstgenuss die Katastrophe der Moderne. 

Hier sitz’ ich, forme Menschen 

Nach meinem Bilde, 

Ein Geschlecht, das mir gleich sey, 

Zu leiden, zu weinen, 

Zu genießen und zu freuen sich, 

Und dein nicht zu achten, 

Wie ich!   

 

Die Schlussformulierung der Hymne als Programm der Menschenformung wird von Goethe nicht nur in der Erstausgabe verwendet, sondern auch in der Vollständige(n) Ausgabe letzter Hand 1827 beibehalten. Goethes Hymne lässt sich nicht zuletzt von Programm und Duktus mit dem ersten Manifest der Moderne, dem Manifest der Kommunistischen Partei von Karl Marx und Friedrich Engels, kontextualisieren.[11] Der Bruch mit dem Gesetz des Vaters oder dem Gesetz Gottes wird in der nachträglichen Mythologisierung der Oktoberrevolution zum medialen Produktionsmodus eines neuen Geschlechts bzw. Menschen. Insofern hatte Jörg Baberowski am Dienstagabend recht mit dem Hinweis auf den Putsch oder Staatsstreich vom 25. Oktober 1917 durch die Besetzung des St. Petersburger bzw. Petrograder Winterpalastes.

 

Die Mythologisierung der Ereignisse vom 25. Oktober 1917 wird nicht zuletzt für Sergei Eisensteins Film Oktober 1928 zu einem derartigen Problem, dass er den Film nie fertigstellen konnte. Widersprüche und Machtkämpfe unter den Bolschewisten vereiteln zunächst eine Vereinheitlichung und Symbolisierung des Ereignisses. Unter der Collage WIE DEN ABGRUND ÜBERSPRINGEN? von Ivan Kulnev, in der er eine nachgestellte Fotografie der - nun - Erstürmung des Winterpalastes von 1920 verarbeitet hat, diskutierten die Podiumsteilnehmer indessen weniger über die Widersprüche bei der narrativen und ikonographischen Mythologisierung selbst, als vielmehr über eine zu verurteilende Ideologie des Kommunismus. Das greift für eine historische Aufarbeitung zu kurz.

 

Es geht nicht nur darum, dass und ob der Kommunismus im entschieden literarisch orientierten Werk von Karl Marx wie dem Manifest und dem unabgeschlossenen Kapital auf Homogenisierung, Vergesellschaftung von Eigentum und Verbrechen an der Menschlichkeit angelegt ist. Es ist ja auch nicht so, dass die Oktoberrevolution die Moral oder Werte im Namen des Kommunismus abgeschafft hätte. Vielmehr wurde die Sowjetunion zu einer Herrschaft der Bigotterie, die ständig Moral und Werte propagierte, um sie zugleich zu verwerfen. Die biographischen Erzählungen von Frey Klier oder Hubertus Knabe sind durchaus berechtigt. Sie fielen allerdings nicht annährend so widersprüchlich aus, wie die Erzählung von Kulnevs Großmutter, die er liebte, die aber Stalin wie einen, wohl gar als Gott verehrte.

 

Vielleicht kann man es als einen religionsartigen Volksglauben des Sowjetmenschen formulieren, wenn Kulnev von einer alten Parteigenossin erzählt. In seinen Erzählungen und Collagen verschränken sich eine politikhistorische Dimension mit persönlichen Erlebnissen, die er auf faszinierende Weise gleichzeitig reflektiert. Die Geschichte von der Parteigenossin, die in ihrer Todesstunde nach ihrer Mitgliedskarte der Kommunistischen Partei der UdSSR verlangte, um damit begraben zu werden, ist in ihrer Widersprüchlichkeit kaum zu überbieten. Tatsächlich sind auch hier Symbole und Praktiken der Orthodoxie auf den Sowjetmenschen mit anderen Vorzeichen übertragen worden. Nach der Mitgliedskarte oder dem Parteibuch wird in der Stunde des Todes verlangt wie nach dem Kreuz in der Vorzeit.

 

Die Collagen von Ivan Kulnev sind eine künstlerische Forschungsarbeit aus Bild- und Textmaterial, die sich offenbar auch schwer abschließen lässt, weil beispielsweise seit seiner Ausstellung im Institut für Slawistik an der Humboldt-Universität im Mai 2015 etliche hinzugekommen sind. In WIE DEN ABGRUND ÜBERSPRINGEN? (2016) arbeitet er mit Text- und Bildmaterialien, die Widersprüche, Ungereimtheiten, Verbrechen gar aufdecken. So laufen die Massen bei der für den Fotoapparat gefälschten Erstürmung in der Collage auf ein Schwarzes Loch zu, als verschwänden sie darin. Eine zerbrochene blaue Leiter wird zwischen einem gelben, sonnenartigen Rund und dem schwarzen platziert. Der Ausschnitt einer Leninstatue zeigt auf das Gelb. 

Die Semantik der Collagen von Kulnev ist eine intermediale. Wie bei den Konstruktivsten spielen Text und Bild ineinander und zusammen. Mit „перескакиватьuv как пропасть?als Frage verwendet Kulnev gar das syntaktische Mittel der Umstellung oder Inversion – Überspringen wie Abgrund? –, das seinerseits insbesondere von Wladimir Majakowski in der revolutionären Dichtung angewendet worden ist. Doch in der Kombinatorik der Bild- und Textmaterialien wird bei Ivan Kulnev die revolutionäre Geste fragwürdig. Die Leiter zur Erreichung einer sonnigen Zukunft ist nicht nur wegen des Endes der Sowjetunion und ihres Nachlebens in der Russischen Föderation zerbrochen.

 

In einem hohen Maße sind Kulnevs Collagen Erinnerungsbilder des Verdrängten und von der Konstruktion ausgeschlossenen. Dabei setzt er nicht wie in seiner Collage Der sowjetische Alltag eine Fotografie von einer Wohnküche als Wirklichkeit des Alltags ein, sondern kombiniert und collagiert halbwegs bunte und geblümte Tapetenmuster, die den Alltag verschönern sollten. Anders als in den konstruktivistischen Filmen werden die Tapetenreste zu Zeugen eines Wunsches nach Behaglichkeit und gar Privatheit in einem Staatsapparat, der sich längst durch das Oktobern und ähnlicher Riten zu einem restlosen Zugriff auf seine Menschen ermächtigt hatte. Die extreme Künstlichkeit in der totalen Organisiertheit des Lebens im sowjetischen Alltag ließ zwischen Verhaltensdesign an Kindern im Pawlowschen Institut in Leningrad und militärischen Aufmärschen nicht so sehr das Individuum, sehr wohl aber den Menschen in der Staatsmaschinerie verschwinden. 

 

Torsten Flüh 

 

 

Das sowjetische Experiment 

100 Jahre Oktoberrevolution 

Führung durch die Ausstellung mit Ivan Kulnev 

Mittwoch, den 22. März 2017 15:00-17:00 Uhr 

Ausstellung verlängert bis 31. März 2017 

Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung 

Tiergartenstraße 35 

10785 Berlin

 

Der Neue Mensch 

Aufbruch und Alltag im revolutionären Russland 

Herausgeber: Reiner Rother, Alexander Schwarz 

absolut Medien 

filmedition suhrkamp 

2 DVDs 

€ 29,90

ISBN: 978-3-89848-583-8 

EAN: 978-3-89848-583-8 

Länge: 412 

Bild: PAL, S/W, 4:3 

Ton: Dolby Stereo 

Sprache: Originalfassung 

Untertitel: deutsche Untertitel 

Regionalcode: codefree 

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[1] Siehe: Alexander Schwarz, Rainer Rother (Hg.): Der Neue Mensch. Aufbruch und Alltag im revolutionären Russland. Berlin: filmedition surhkamp, 2017, S. 19.

[2] Ebenda (Übersetzung im Film)

[3] Vgl. zur Vielfalt und Unsicherheit der Benennung des Mediums in seiner Frühzeit auch: Torsten Flüh: Lebens/wissen/schaft. Von der Lebenden Photographie zum VOXEL-MAN Tempo. In: NIGHT OUT @ BERLIN 23. Juli 2011 22:24.

[4] Zu Sergej Eisensteins Film Oktober (1928) siehe u.a.: Torsten Flüh: Revolutionäre Zeiten. Les Adieux À La Reine und Oktjabr auf der Berlinale 2012. In: NIGHT OUT @ BERLIN 11. Februar 2012 22:44.

[5] Richard Stites: Revolutionary Dreams: Utopian Vision and Experimental Life in the Russian Revolution. New York: Oxford University Press, 1989, p. 111.

[6] Vgl.: Torsten Flüh: Politik und Psyche. Zum Realismus in einer post-faktischen Mediengesellschaft und dem Film მონანიება/Reue (1984) von Tengis Abuladse. In: NIGHT OUT @ BERLIN 13. November 2016 18:42.

[7][7] Torsten Flüh: Von der Design-Wende. Zur Tagung Verhaltensdesign im Hybrid Lab. In. NIGHT OUT @ BERLIN 14. Dezember 2016 21:12.

[8] Alexander Schwarz: Euphorie, Alltag und Illusion im sowjetischen Film zwischen Revolution und Stalinismus (1924 bis 1932). In: Alexander Schwarz, Rainer Rother (Hg.): Der … [wie Anm. 1] S. 5. 

[9] Ebenda S. 20.

[10] Ebenda S. 21.

[11] Zur Manifest-Literatur u. a. Torsten Flüh: Die Wiederkehr des Manifests als Fake. Zur grandiosen Filminstallation Manifesto mit Cate Blanchett von Julian Rosefeldt im Hamburger Bahnhof. In: NIGHT OUT @ BERLIN 10. Februar 2016 22:22. 


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