Symbolismus – Winnetou – Sammler
Karl Mays nackte Männer
Zur Sascha-Schneider-Ausstellung im Schwulen Museum
Wer die Schriften Karl Mays nicht gelesen hat, hat etwas versäumt. Noch in den 70er Jahren war Karl May Pflichtlektüre in deutschen Kinderjugendzimmern. Meine Begegnung mit ihm lief verquer. Statt Winnetou oder Old Shatterhand bekam ich als Junge eine Ausgabe von Durchs wilde Kurdistan geschenkt. Das war für einen kleinen Jungen schon mal schlecht, weil der richtige Karl May, das wusste jeder aus dem Fernsehen, waren doch die Geschichten von den Indianern und Old Shatterhand. Durchs wilde Kurdistan war viel zu kompliziert. Sehr viel später wurde Karl May dann durch Arno Schmidts Sitara oder der Weg dorthin (1963) interessant. Aber da war es zu spät für eine Karl-May-Lektüre und der obwohl interessante psychoanalytische Ansatz von Arno Schmidt doch schon ein wenig aus der Wissenschaftsmode.

Bei Hans-Gerd Röder, dem Sascha-Schneider-Sammler, war das anders. Erstens glückte die Begegnung mit Karl May und zweitens machte ihn der Autor dann noch auf den Illustrator, Maler und Bildhauer Sascha Schneider aufmerksam. Arno Schmidts Buch spielte auch eine Rolle und so begann Herr Röder, Sascha Schneider zu sammeln. Irgendwie hatten am Donnerstagabend im Schwulen Museum schon alle mal von dem offenbar schwulen Maler gehört. Sogar der Briefwechsel zwischen Karl May und Sascha Schneider wurde veröffentlicht. Doch niemand hielt es für möglich, dass es einmal eine größere Retrospektive geben könnte. Verstreut und versunken das eher schmale Werk. Nun zeigt das Schwule Museum die von Jonathan David Katz kuratierte und bereits in New York gezeigte Ausstellung „Ich gehe meine eigenen Wege …“ Sascha Schneider ─ Kunst und Homoerotik um 1900 noch bis zum 30. Juni. Eine Sensation.

Jonathan David Katz, Kunsthistoriker und Queer Theorist, hatte für das Leslie Lohmann Museum of Gay and Lesbian Art im Herbst 2013 die Nacktheit besonders mit dem Titel Nude in Public: Sascha Schneider, Homoeroticism and the Male Form circa 1900 herausgestellt.[1] „Nude in Public“ zieht in New York. Nackt in der Öffentlichkeit ist schon besser als der ein wenig umständliche, deutsche Titel. Denn der Knackpunkt an der Bilderwelt von Sascha Schneider und seinem keinesfalls marginalisierten, sondern öffentlichen Schaffen, mit öffentlichen Aufträgen sanktioniert, liegt darin, dass er für eine relativ kurze Zeit um 1900 den erotisch aufgeladenen, männlichen Akt geradezu zum Programm seiner Arbeit machte und machen konnte.

Höhepunkt der öffentlichen Darstellung nackter Männerkörper wurde und über die Zeiten bekannt gemacht haben Sascha Schneider die Illustrationen für Karl Mays Werkausgabe von 1904 bis 1907. So kommen sie auch in Friedrich Kröhnkes Ein Geheimnisbuch (2009) vor. Karl May legte die Fährte. Abel und Alexander haben schon als Halbwüchsige eine „May-Bibliomanie“.[2] „Jugendschriftsteller“, wie sich Mays zweite Frau Klara am 8. März 1904 mokierte.[3] So bleibt den Zwillingsbrüdern ca. 60 Jahre später denn auch Sascha Schneider nicht verborgen.
Ihr pubertäres Kichern und Sich-Mokieren ─ wenn sie in der albernden Gemütsverfassung sind, die sie Malzbierstimmung nennen ─ nimmt sich die fromme Lyrik Karl Mays zum Opfer, die Romane, in denen der verrückte Bayernkönig Ludwig auftritt (Der Peitschenmüller, Der Silberbauer), die zwanghafte Aufschneiderei oder die Häufung nackter Männer auf den von Sascha Schneider gestalteten Titelblättern.[4]

Karl May lernte Sascha Schneider 1903 in Dresden kennen. Im März 1904 war klar, dass er die Titelbilder zu Sämtlichen Bänden der Fehsenstein-Ausgabe von Karl Mays Reiseerzählungen gestalten sollte, wie Christiane Starck und Hans-Gerd Röder recherchiert haben.[5] Sascha Schneider sollte dem „Jugendschriftsteller“ ein neues, anspruchsvolles, ja, geistiges Image verpassen. Man könnte auch sagen, die künstlerisch anspruchsvollen Bilder sollten die „Reiseerzählungen“, die zum größten Teil allein fabuliert waren, erwachsen machen. Anstelle einer von der Öffentlichkeit eingeklagten Authentizität trat das Geistige der Erzählungen. Die Titelbilder wurden mit reichlich nackten Männern versehen von Winnetou bis Friede auf Erden, wo der sehr männliche Engel mit kaum mehr als einem Gaze-Schleier über seinem Glied bekleidet ist.[6]

Nacktheit in der Öffentlichkeit ist in den USA ein ganz anderes Thema als in Deutschland. So vermochte es auch die Ausstellung zu Sascha Schneider, eine breitere Diskussion anzuregen. Was Jonathan David Katz damit allerdings weit über New York und Amerika hinaus angestoßen hat, kann man als eine Revision der deutschen Kunst um 1900 unter einer queeren Fragestellung formulieren. Wie konnte es möglich sein, dass im wilhelminischen Deutschland der nackte Mann im öffentlichen Raum präsent wird? Katz beantwortete diese Frage zunächst mit einer widersprüchlichen Politik der deutschen Polizei und Öffentlichkeit gegenüber Homosexualität. Einerseits werden Homosexuelle geschützt, andererseits werden sie aufgrund des § 175 StGB verfolgt. Dafür ist Sascha Schneider nach Katz‘ Eröffnungsrede ein gutes Beispiel:
Persecution and protection were also Sascha Schneider’s lot in life throughout his career, and his letters, with their wearying mix of self-pity and arrogant self-regard reflect this fact of his life. Alternatively celebrated and forced into exile as a means of escaping imprisonment, Schneider reminds us that the incoherent social attitudes toward sexual difference in the early 20th century determined the course of real lives. But what’s striking is about the German situation is the relative length of this period of completely contradictory attitudes.

Das ambivalente, relativ offene Spiel von „persecution and protection“ erlangt in den nackten Männern auf den Titelblättern der Karl-May-Bände einen sichtbaren Beleg. Statt Verurteilung erfährt Sascha Schneider durch May eine ostentative Förderung. Warum riefen die Titelbilder keine Zensur auf den Plan? Was Katz als eine spezifisch deutsche Verschränkung von Nacktheit des Mannes und Öffentlichkeit vom monumentalen Wandgemälde bis zur Buchillustration aufgefallen ist, lässt sich nicht subjektlogisch mit einem Ich-gehe-meine-eigenen-Wege erklären. Die öffentlichen Aufträge und Ankäufe für Museumssammlungen geben vielmehr einen Wink darauf, dass die Sichtbarkeit des nackten Männerkörpers auf bedenkenswerte Weise oszillierte und oszilliert.

Eine wichtige Rolle spielt für Sascha Schneider der Symbolismus, wie es Starck und Röder herausgearbeitet haben.[7] Aber auch Nationalismus, Hellenophilie, Turn- und Reformbewegung, Hygiene- und Sexualwissen, Anarchismus und Heldenepos, Christentum und Psychoanalyse schaffen ein Milieu, das in Deutschland, zumindest in Dresden und Berlin, einzigartig war. Im Bildschaffen von Sascha Schneider finden sich all diese Strömungen wieder, wie es die Sammlung Röder auf sensationelle Weise präsentiert. Gehuldigt wird der Sächsischen Schweiz mit Elbsandsteingebirge, Tafelbergen und der Bastei ebenso wie dem männlichen Körper. Der männliche Körper in den Variationen von Mann und Ephebe wird mit dem aufkommenden Tourismus[8] und seinen Naturszenarien kombiniert, um sich im Titel als Werdende Kraft (1904) symbolistisch zu verdichten.

Foto: Sammlung Röder, Sascha Schneider I Werdende Kraft 1904
Der nackte Männerkörper findet bei Sascha Schneider überall dort sein Milieu im Bild, wo es mit sogenannten geistigen Elementen als Wissensformationen komponiert werden kann. Diese Elemente folgen meistens einer Dichotomie von Helligkeit oder Licht, Lichtstrahl und Dunkelheit. Ob es der nackte (!) Anarchist mit der funkensprühenden Zündschnur einer Bombe über dem Kopf ist oder das vom hellen Lichtstrahl erfasste, nackte Medium bei der Hypnose (1904) für die Hypnotischen Unterrichtsbriefe. Geistig mentale Vorgänge an der Grenze zur Rebellion werden, als ginge es um die nackte Seele, im Religiösen, im Psychologischen, im Anarchistischen etc. mit nackten Männerkörpern Bild. Winnetou (1904) steigt aus dem Dunkel hinauf in ein weißes Licht, das ein Kreuz bildet. Mehr noch als auf die Titel ist zunächst auf die deutliche Hell-Dunkel-Kontrastierung im Bildschaffen von Sascha Schneider zu achten.

Foto: Sammlung Röder, Sascha Schneider | Anarchist
Die nackte Seele als Gegenstand neuartiger Wissenstechniken ist um 1900 vom Systèm de Graphologie eines Jean Hippolyte Michon[9] bis zur Phrenologie bei Wilhelm Bölsche an der Schnittstelle von Literatur und Wissenschaft, aber natürlich auch in der Psychoanalyse Siegmund Freuds oder C. G. Jungs jene Leerstelle, die einer bildlichen Ausformung bedarf. Mit der Hypnose von Sascha Schneider wird gar ein Übertragungsvorgang als Wissensanwendung Bild. Das prinzipiell Undarstellbare der neuartigen Wissenstechniken und ihrer Vorgänge, das beispielsweise als Urszene in den öffentlichen Vorlesungen und Vorführungen von Freuds Lehrer Charcot in der Salpêtrière in Paris in den 1880er Jahren nicht zuletzt mit der Fotografie als sichtbar an den nackten Körpern von jungen Frauen inszeniert wird, kippt bei Sascha Schneider in den männlichen Körper. Was bei der Hysterie als ein Mangel des weiblichen Körpers inszeniert wurde, wird bei Schneider mit der Hypnose zur Fülle und Kraft.

Foto: Sammlung Röder, Sascha Schneider | Triumph der Dunkelheit, 1896
Der nackte Männerkörper wird in Anknüpfung an hellenistische Plastiken und Texte mit Kraft aufgeladen. Das Sichtbarwerden von Kraft in einem muskulösen Körper ist für Schneiders Bildschaffen von programmatischer Tragweite. Er wird nicht zuletzt kurz nach dem 1. Weltkrieg, 1919, die „Kraft-Kunst, Institut für Körperausbildung und Erziehung“ für junge Männer in Kooperation mit einem ehemaligen Generaloberst gründen. Die „Kraft-Kunst“ wird also in einer Zeit möglich, als diese durch den Kriegsverlust in Deutschland zutiefst in Frage steht. Vom Jahr 1919 erfolgt so noch einmal ein deutlicher Wink auf die erste Phase der „Kraft-Kunst“ beispielsweise in Werdende Kraft um 1900. Indem ein Mangel, ein Fehl, ein Manko im gestalteten und überdefinierten Körper zum Bild von Kraft wird, erhält er öffentliche Reputation. Gezeigt, wird nicht, was da ist, sondern was fehlt. So soll sich Sascha Schneider nach Christiane Starck darüber beschwert haben, dass männliche Aktmodelle meistens schlechte, mangelhafte Körper gehabt hätten.

Foto: Sammlung Röder
In dem Moment als Sascha Schneiders Männer- und Knabenkörper mit homosexuellem Begehren als Wissensformation verkoppelt werden, erlischt schlagartig die Protektion. Die geradezu drehbuchartigen Erpressungsversuche seines Freundes 1908 aufgrund des Homosexuellen-Paragraphen, § 175 StGB, zerstören das Bild der Kraft, die geschlechtlich verortet worden war. Wo Kraft sichtbar geworden war, erscheint nun der Straftatbestand abweichenden sexuellen Verhaltens. Der Umschlag der öffentlichen Auftraggeber findet also vor allem mit einem Wechsel der Wissensfelder ─ Kraft gegen Sexualität ─ statt. Das wäre sicher noch einmal genauer zu untersuchen. Denn die Formulierungen von Christiane Starck und Hans-Gerd Röder bleiben ein wenig unscharf, wenn sie schreiben:
Nun macht sich aber eine kunstfeindliche Strömung spürbar, die Schneider und seine neuen Plastiken ablehnt. Plötzlich schließt man vom Privatleben des Künstlers auf die Werke, sie werden als Ausdruck seiner Sexualität gewertet. Ankaufskommissionen der Museen lehnen ab …[10]

Foto: Sammlung Röder, Sascha Schneider | Patriarch, 1895
Beispielhaft wird das Bild, das zu sehen gewünscht oder verdammt wird, mit der Ausdrucksfrage formuliert. Ausgedrückt kann aber nur werden, was bereits vorher oder ursprünglich vorhanden war. Doch genau das wird zum Streitpunkt am Bild der nackten Männer. Denn die Kraft fehlte ihnen gerade. Sie wurde aber sehr wohl gesehen. Auf wunderbare Weise hatten Sascha Schneiders Titelbilder für Karl Mays Reiseerzählung eine ähnliche Funktion. Sie sollten etwas sichtbar machen, was dem Autor als „Jugendschriftsteller“ abgesprochen worden war. Nicht nur zufällig wird von Starck und Röder das Bildschaffen mit einer Leseszene verknüpft.

Sascha Schneider hat in dem Brief vom 26. März 1904 das Lesen genau mit dem Produktionsprozess der Bilder formuliert. Dabei bleibt allerdings offen, was er las. Dennoch gibt der Anspruch ans Lesen einen Wink aufs Bildschaffen.
Ich müsste immer die zu den einzelnen Bänden gehörenden übrigen lesen, um fürs Ganze den Leitgedanken zu finden und wie soll dies in so kurzer Zeit geschehen & wie soll die Phantasie die nötige Ruhe finden, und logisch muss doch auch alles sein. ─ Dies ist der schwerste Teil, der andere aber ist dem gleich: Das Machen! […] Lesen (Ergriffenwerden) und Durchdenken (Ergreifen) nimmt doch gut 6 Tage in Anspruch (Ich muss gut lesen, nicht hinunterschlingen.) Die eigentliche Arbeit, das Produkt, aber sicher 8 Tage, sind 14 Tage.[11]

Das Finden eines „Leitgedankens“ durch intensive Lektüre und „das Machen“ werden von Sascha Schneider ausführlich erläutert. Was auf erstaunliche Weise dabei auch fehlt, ist der Übertragungsprozess vom Schriftlichen ins Bildliche. Wie das Bild gemacht wird, bleibt offenbar einem subjektlogischen Lesen als „Ergriffenwerden“ und dessen Verarbeitung als „Ergreifen“ vorbehalten. Irgendwo zwischen „Ergriffenwerden“ und „Ergreifen“ entsteht ein Bild, das dann noch durch Arbeit zum Produkt werden muss. Der so formulierte Produktionsvorgang bringt dann einen sogenannten Symbolismus hervor. Damit aber wird der Symbolismus von Schneider gerade nicht in einer Logik des Ausdrucks, sondern eines Prozesses formuliert.

Allein, es wird mit dem Lektürevorhaben eine Unmöglichkeit formuliert. Das Lesen als Studium des Mayschen Werkes dürfte auch ausgeblieben sein. Welche „Leitgedanken“ Schneider gefunden hat, ist nicht anders als in den Titelbildern überliefert. Doch May wird an seinen Verleger Fehsenstein 1905 emphatisch schreiben: „Keiner hat mich so verstanden wie er!“ Ob dies allerdings als Übereinstimmung im Epochenbegriff des Symbolismus verstanden werden kann, muss dahingestellt bleiben. Die Maysche Fabulierkunst verarbeitete ebenfalls das frühe touristische Genre mit der Behauptung, die Abenteuer selbst erlebt zu haben. Doch bereits 1893 eröffnet May das Buch Winnetou I, das dann zeitweilig den Titel Winnetou der rote Genleman trug, mit einem ethischen Anspruch der Existenzberechtigung, der mit großer Geste vorgetragen wird.
Wenn es richtig ist, daß alles, was lebt, zum Leben berechtigt ist, und dies sich ebenso auf die Gesamtheit wie auf das Einzelwesen bezieht, so besitzt der Rote das Recht zu existieren, nicht weniger als der Weiße und darf wohl Anspruch erheben auf die Befugnis, sich in sozialer, in staatlicher Beziehung nach seiner Individualität zu entwickeln.

Der dann von Sascha Schneider mit dem nackten, langhaarigen Winnetou illustrierte Aufstieg in die ewigen Jagdgründe missachtet zumindest in dem angedeuteten Kreuz die Individualität der Indianer, die dann doch eine ganz andere Todesvorstellung hätten. Zwischen darwinistischem Evolutionsdenken, Fortschrittsgläubigkeit und Modernisierungskritik schreibt May gegen weitverbreitete Rede- und Schreibweisen mit seinen Geschichten von den Roten an. „Immer fällt (ihm), wenn (er) an den Indianer denk(t), der Türke ein“, formuliert er überraschend den ersten Satz seiner Winnetou-Romane, um dann landläufige Behauptungen zu kritisieren:
Da behauptet man nun freilich, der Indianer besitze nicht die notwendigen staatenbildenden Eigenschaften. Ist das wahr? Ich sage: nein! will aber keine Behauptungen aufstellen, da es nicht meine Absicht ist, eine hierauf bezügliche gelehrte Abhandlung zu schreiben. Der Weiße fand Zeit, sich naturgemäß zu entwickeln; er hat sich nach und nach vom Jäger zum Hirten, von da zum Ackerbauer und Industriellen entwickelt; darüber sind viele Jahrhunderte vergangen; der Rote aber hat diese Zeit nicht gefunden, denn sie wurde ihm nicht gewährt. Er soll von der ersten und untersten Stufe, also als Jäger, einen Riesensprung nach der obersten machen, und man hat, als man dieses Verlangen an ihn stellte, nicht bedacht, daß er da zum Falle kommen und sich lebensgefährlich verletzen muß.

Die Erzählkunst der Winnetou-Romane, wie sie von Karl May eröffnend formuliert wird, besteht zu einem guten Teil darin, sie gegen Wissensformationen in Stellung zu bringen, um dann in autopoetischer Schreibweise von einem anderen Leben der Roten zu erzählen. Indem sich Karl May zum Retter der im Sterben liegenden „rote(n) Nation“ macht, schafft er eine solche, die nie existiert hat. Das ist ziemlich verquer, zumal May als Autor vorgibt, eine „rote Nation“ zu retten, die es nie gegeben hat. Indem er sich gerade zu „gelehrte(n) Abhandlung(en)“ abgrenzt, bleiben seine vorgeblichen Reiseerzählung in einer ständigen Schwebe widersprüchlicher Wissensmodi, was sicher noch einmal genauer zu untersuchen wären. Der Symbolismus aber wird hier wiederum zu einem Darstellungsmodus einer „Nation“, die es nicht gibt und faktisch nie gegeben hat. Es gibt Stämme und widerstreitende Clans, aber keine Nation für die Winnetous Leben und Sterben zum Symbol hätte werden können. Stattdessen werden europäische Wissens- und Verhaltensmuster eines „Gentleman“ kolonialistisch auf den Indianer und indianischen Körper übertragen.

Wenn Sascha Schneider etwas besonders gut verstanden hatte, dann war es das Fehlen, das Manko, die Leerstelle von Kraft, Nation, Identität, die unter Verkopplung aktueller Diskurselemente Bild werden konnte. Nicht zuletzt gab es bereits vor 1900 in Paris ein florierendes Geschäft mit Photographien von männlichen Athleten, die man Kraft-Künstler oder Bodybuilder hätte nennen können. In der Kombination von Philhellenismus, Turnbewegung, Zunftwesen und Nationalismus etc. wird der akademisch ausgebildete Maler Sascha Schneider zum Bildschaffenden nackter Männerkörper für die Öffentlichkeit. Weniger das eben so schwierig bestimmbare eigene Begehren wird hier Bild, als vielmehr das Fehlen eines Bildes von Homosexualität. Bereits nach Schneiders Tod 1927 wird Magnus Hirschfeld 1930 seinen Sexualwissenschaftlichen Bilderatlas zur Geschlechtskunde veröffentlichen. Bei der Plünderung des Sexualwissenschaftlichen Instituts von Hirschfeld im Berliner Tiergarten 1933 werden auch Werke von Sascha Schneider vernichtet.
Torsten Flüh
PS: Kim das Spendenschwein nahm und nimmt immer gern Spenden für das Schwule Museum an.
Schwules Museum
"Ich gehe meine eigenen Wege..."
Sascha Schneider - Kunst und Homoerotik um 1900
noch bis 30. Juni 2014
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[2] Kröhnke, Friedrich: Ein Geheimnisbuch. Zürich 2009. S. 38
[3] Schmid, Bernhard (Hg.): Sascha Schneider und Karl May – Zwei Künstler des deutschen Symbolismus. Jubiläumsausgabe zum 140. Geburtstag Sascha Schneiders. Karl-May-Verlag. Bamberg 2010. S. 8
[6] Ebenda Titelblatt, S. 28 und S. 38
[7] Anm: Christiane Starck und Hans-Gerd Röder versuchen sich sehr stark über biographische Äußerungen, Bildtitel und Bilddramaturgie an einen kunsthistorischen Epochenbegriff des Symbolismus anzunähern. Das ist allerdings bei Sascha Schneider wie bei Karl May sehr schwierig.
[8] Anm.: Die Basteibrücke wurde 1851 erbaut. Ein Gasthaus auf der Bastei über der Elbe wurde schon 1826 eröffnet. 1904 wurde der Personenaufzug von Bad Schandau auf die Ostrauer Scheibe erbaut.
[9] Vgl.: Flüh, Torsten: Photographie als Schrift. Literaturwissenschaftliche Anmerkungen zu einem vielfältigen Medium. Saarbrücken 2007. S. 86 ff
[10] s. o. Schmid, Bernhard S. 13
67466008-0006-4977-af99-1aeaec66993c|0|.0
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