Schluss mit Kleist - Claus Peymann inszeniert am Berliner Ensemble Prinz Friedrich von Homburg

Biographie – Literatur – Theater

 

Schluss mit Kleist 

Claus Peymann inszeniert am Berliner Ensemble Prinz Friedrich von Homburg 

 

Die letzte Inszenierung von Claus Peymann am Berliner Ensemble gilt Heinrich von Kleist. Er macht einen Prinz Heinrich Friedrich aus dem Prinz Friedrich von Homburg. Peymann hat immer auch Literaturtheater gemacht. Statt Diskurs bieten seine Programmhefte wie 2012 zu Danton's Tod vor allem die Strichfassung des Regisseurs und seines Teams. So kann das Publikum nachlesen, wie sich der Regisseur den Text angeeignet hat. Es kann die Striche und Umstellungen verfolgen, was ein gewisses Studieninteresse erfordert. Doch auf diese Weise hat das Publikum die Möglichkeit, das Stück zu lesen. Bis zu den Unterschriften Heinrich von Kleists zwischen 1791 und 1811 wird das Schauspiel diesmal biographisch gelesen.

 

Das Bühnenportal ist mit schwarzem Samt ausgeschlagen. Links und rechts zweiarmige Leuchter. Eine Trauerinszenierung. Sogar die Kostüme von Achim Freyer werden diesmal schwarz sein, was für einen der farbenfrohsten Bühnenbildner und Kostümdesigner der deutschen Bühnen schon einigermaßen auffällig ist. Aus dem Schwarz in Schwarz führt vom Boden ein Strahl erst grün, dann weiß in den Zuschauerraum bis hinten an die Decke. Die Bühne schwarz, darauf eine gekrakelte Linie, die ein Panorama und eine Handschrift sein könnte. Das Berliner Peymann-Theater endet mit dieser Saison und die letzte Peymann-Inszenierung feiert nun in Schwarz das Ende einer Ära wie das des Dichters Kleist.

 

Das Schauspiel Prinz Friedrich von Homburg wurde erst zehn Jahre nach Heinrich von Kleists Tod am Kleinen Wannsee leicht abseits von der Strecke zwischen den Residenzstädten Berlin und Potsdam in Wien aufgeführt.[1] Kleist hatte das Stück Prinzessin Amalie Marie Anne, der Schwägerin Königin Luises und ihres Gemahls Friedrich Wilhelm III. gewidmet.[2] Die Widmung war eine unglückliche. Denn Prinzessin Amalie Marie Anne oder Marianne war zwar nach dem Tod Luises am 19. Juli 1810 die erste Frau am Hofe und damit in gewisser Weise Nachfolgerin der von Kleist verehrten Königin. Doch zugleich war sie eine Prinzessin von Hessen-Homburg und musste sich quasi genealogisch mit dem Titel des Schauspiels angesprochen fühlen. Der Prinz im Stück ist ein Träumer und stirbt zumindest nach einer möglichen Lesart willentlich, was 1811 als Skandal aufgefasst werden musste und nicht der Geschichtsschreibung entsprach.

 

Die dramatischen Konflikte und die historische Erzählung einer militärischen Befehlsverweigerung im Schauspiel haben seit der Veröffentlichung bei Wallishausser in Wien und Berlin unter dem Titel Die Schlacht bei Fehrbellin die unterschiedlichsten Interpretationen erfahren. Ist das Schauspiel ein Historiendrama? Eine Militärgeschichte als Schauspiel, wie der frühe Erscheinungstitel nahelegt? Das Schauspiel wird als eine Darstellung der Schlacht gerahmt. Ein Schauspiel über die Nation? Oder muss man es eher als eine Traumerzählung lesen? Ist die Rolle des Prinzen mehr eine heroische, wie er oft genug gespielt worden ist? Oder geht es mit dem Traum um eine Aushebelung der Gesetze, die die Wirklichkeit der Gesetze und des Militärs in Frage stellen? Mit Kleist/Friedrich bzw. den Worten von Obrist Kottwitz (Carmen-Maja Antoni): 

Ein Traum, was sonst?

 

Im Schauspiel übernehmen Briefe, die geschrieben, hin und her geschickt wie gelesen werden, eine entscheidende Rolle. Das Briefeschreiben und -lesen wird zur dramatischen Handlung. — „Er geht an den Tisch, setzt sich und schreibt. — Pause. NATALIE für sich Ach, Herz, was klopfst Du also an dein Haus?“ — Erwartungen an Briefe, die dann ganz anders gelesen werden. Befehle, die nicht oder falsch verstanden werden. Und auch das finale „Todesurteil“ des Kurfürsten (Roman Kaminski) zirkuliert als Brief, um kurz vor Schluss von ihm selbst zerrissen zu werden. Stattdessen führt im letzten Auftritt, als sei’s ein Traum, der Kurfürst Natalie der Hand des Prinzen zu, worauf dieser „in Ohnmacht“ fällt und Natalie ausruft: „Himmel! Die Freude tötet ihn!“ — Das hat Peymann der Deutlichkeit halber gestrichen.[3] Stattdessen schreitet Homburg (Sabin Tambrea) den Strahl, der sich als Drahtseil erweist, hinauf. Schüsse zerreißen die Stille nach Homburgs letzten Worten: 

Schlug meiner Leiden letzte Stunde? 

 

Das Schauspiel beginnt auf durchaus verstörende Weise mit einem Traum. Doch dieser Traum reicht hinüber ins Erwachen, als der Prinz einen Handschuh in Händen hält. Diese Eröffnungssequenz ändert alles, was zuvor als verbindlich für das Schauspiel galt, allemal eines, das die Militärgeschichte vom Veröffentlichungstitel Die Schlacht bei Fehrbellin zum Thema macht. Der Handschuh als Faktum oder Ding –  keinesfalls nur als „Requisite()“[4] – wird auf der Bühne zu einem Rätsel. Hat der Prinz ihn der Prinzessin Natalie von Oranien (Antonia Bill) unverfroren als Liebespfand träumend im Traum abgezogen? Oder hat Natalie den Handschuh „(a)uf dem Kamin(!)“ (Erster Akt Fünfter Auftritt) liegengelassen, wie sie meint, sich zu erinnern, während der Prinz nun den nach dem Erwachen gefundenen Handschuh Natalie zuordnet und ihn fallen lässt, damit er gefunden werden kann.

DER PRINZ VON HOMBURG verwirrt Ist das der eure?
NATALIE Der meinige; der, welchen ich vermißt.
Sie empfängt ihn und zieht ihn an. 

 

Der Traum vom Handschuh ist derart ineinander verschachtelt, dass er sich ständig von Innen nach Außen und zurück stülpen lässt. Der Handschuh, der im Traum vom Träumenden Natalie entwendet wurde, wird zum wechselvollen Zeichen, das verloren, gesucht, in Händen gehalten, fallengelassen und schließlich von Homburg Natalie übergeben wird. Damit verschwindet der Handschuh auch aus der Handlung, ohne dass er über den Traum und die Wirklichkeit hätte Aufschluss geben können. Eine der möglichen Erzählungen um den Handschuh wäre, dass Natalie und der Prinz sich des Nachts im Garten ungesetzlich zur Liebe getroffen haben und dem Kurfürsten wie den anderen Anwesenden nur die Handschuhszene vorspielen. Doch der Handschuh wird von Kleist derart in Szene gesetzt, dass er sich auf die eine oder andere Art wenden, es sich aber nicht wissen lässt, wie es wirklich war. Wie wirklich war der Traum? Die Funktion des Handschuhs liegt darin, dass unklar bleibt, auf welche Weise Homburg an ihn gelangt ist. Indem der linke zum rechten Handschuh zurückkehrt, verschwindet er aus dem Handlungsrahmen. Doch hat er die Frage nach dem Traum nicht nur nicht beantworten können, sondern eine rätselhafte Verknüpfung zwischen Wahrnehmungsebenen hergestellt.

  

Der Handschuh wird von Heinrich von Kleist zur Schau als Zeichen eingesetzt, um die Durchlässigkeit von Wahrnehmungsebenen zu inszeniert. Kleist sagt ungefähr folgendes: Seht, hier habt ihr mit dem Handschuh ein Zeichen, dass der Traum nicht einfach mit dem Erwachen endet. Nach dem Erwachen gibt es den Handschuh weiterhin, von dem der Prinz nicht weiß, woher er kommt und wem er gehört, bis Natalie ihn sucht. Um sich und seinen Traum nicht zu verraten, muss der Handschuh durch eine kleine Verstellung des Prinzen, wieder in die Hand der Prinzessin gelangen. Es ist, als wolle Kleist, den Zuschauern und Zuhörern vorspielen, worum es ihm in seinem Stück gehen wird. Nämlich um das Lesen und Wahrnehmen. Friedrich Wilhelm III. ließ das Stück nach drei Aufführungen 1828 in Berlin absetzen[5], weil Prinz Friedrich von Homburg so ganz und gar nicht in die Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung des Königs und seines Hofstaates passte.

 

Heinrich von Kleist störte postum nicht nur die preußische Geschichtsschreibung auf, er formulierte vielmehr mit dem Stück einen Störfaktor in der Konzeption von Staat und Gesetz sowie Männlichkeit und Gründungsmythos des preußischen Staates. Der Prinz kratzt in zweierlei Hinsicht an der Geschlechterfrage männlichen Verhaltens, zu dem keinesfalls Todesangst und Ohnmacht gehören dürfen, und der Erzählung vom Adelsgeschlecht der Hohenzollern. So kann Günter Blamberger als Kleist-Biograph zwar sehr genau belegen, dass „Kleist am 9. Januar 1809 aus der Bibliothek in Dresden (ein Geschichtswerk von Karl Heinrich Krause) entliehen und am 1. März zurückgegeben hat“[6]. Doch was Friedrich Wilhelm III., Gottfried Benn, Otto von Bismarck und Theodor Fontane, die gewiss ganz große Geschichtserzähler waren, nun so unversöhnlich gegenüber dem Schauspiel machte, fragt er nicht. Am Schluss fällt auf offener Bühne ein Mann, der gar mit dem Gründungsmythos der Hohenzollern, Preußens in Verbindung gebracht wird, derart weiblich in „Ohnmacht“, dass nicht klar ist, ob er gar tot ist.

 
© Monika Rittershaus

Der dynastische Gründungsmythos fällt mit dem Bild von Ehre und Männlichkeit in eins. Dabei hat nicht etwa Karl Heinrich Krause mit Mein Vaterland unter den hohenzollerischen Regenten. Ein Lesebuch für Freunde der Geschichte diesen formuliert, sondern niemand geringeres als Friedrich II. in seinen Mémoires pour servir à l'histoire de la maison de Brandebourg(1751). Friedrich II. erzählt die Geschichte von der Schlacht bei Fehrbellin wertend als ein Versagen des Prinzen von Homburg, das zugleich dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm den Sieg beschert. In wörtlicher Rede wird der Kurfürst zitiert:

Si je vous jugeois selon la rigueur des loix militaires, vour auriez mérité de perdre la vie; mais à Dieu ne plaise que je ternisse l'éclat d'un jour aussi heureux, en répandant le sang d'un prince qui a été un des principaux instrumens de ma victoire! (Originaldigitalisat Staatsbibliothek Berlin

 


© Monika Rittershaus

 

Doch Kleist verdreht durch die Träume, das unmännliche Verhalten der Angst und die Ohnmacht den Mythos der „Mémoires“ des Hauses Brandenburg, was einem Sakrileg gleichkommt. Nach den dramatisch ausformulierten „Mémoires“ Friedrich II. ist der Gründungsmythos unauflösbar mit der Aussetzung, dem Bruch der „loix militaires“, des Militärgesetzes verknüpft. Ein Gesetzesbruch, der für Friedrich II. so wichtig war, dass er ihn nicht versteckte, sondern als wörtliche Rede inszenierte. Kleists Umschreibung dieses Mythos ist ein Vergehen gegen das richtige Lesen der Geschichte. Denn ein Sakrileg begehen, heißt nichts Andres als Heiliges (sacra) lesen (legere) oder auflesen im Sinne von entwenden. Sowohl die Briefleseszenen im Schauspiel wie die Arbeit an den Berliner Abendblättern vom 1. Oktober 1810 bis zur Einstellung der Tageszeitung am 29. März 1811 thematisieren unablässig das Lesen und Erzählen, das Wahrnehmen.


© Monika Rittershaus

Nimmt man als Regisseur daher die Briefe und das Lesen gar mit einem großen Bogen zum Lesen in Sozialen Medien bzw. dem Internet als Schrift- und Bildmedium ernst, dann könnte das verdrehte Schauspiel von Prinz Friedrich von Homburg einige Sprengkraft entfalten. Aber Claus Peymann verzichtet auf das in sich brüchige Schauspiel des Lesens und der entwendeten Dinge. Stattdessen bietet er ein Selbstmörderschauspiel, indem eine biographische Erzählung von Heinrich von Kleist mit Prinz Friedrich kurzgeschlossen wird. Das gelingt einzig und allein über die Biographie als eine „Poetologie“ bzw. „Ökonomie des Opfers“ wie Günter Blamberger vorgeschlagen hat: 

Homburg gibt dem Gesetz und dem Kurfürsten Satisfaktion für die Beleidigung durch seinen Ungehorsam, indem er sich als satisfaktionsfähig, als todesbereit erweist. Wer den sozialen Tod nicht erleiden will, muss beweisen, dass er den natürlichen Tod nicht fürchtet, dass er sein Leben um der gesellschaftlichen Anerkennung willen zu opfern bereit ist. Das ist ein Standesverhalten des Adels, welches Kleist bis in seinen eigenen Tod befolgt, um seiner Nachwelt als würdig zu erscheinen. Sein letztes Drama zeigt ihm einen Ausweg. Nicht Mitleid und Gnade will er posthum, sondern Anerkennung.[7]

 

Der Schluss des Schauspiels muss, wie es Claus Peymann und seine Dramaturginnen Jutta Ferbers und Sarah Thielen getan haben, zusammengestrichen und verortet werden, damit klar wird, dass sich Heinrich von Kleist quasi mit dem Prinzen in den Selbstmord hineingeschrieben hat. Es ist der Abschied von der Literatur durch die Biographie auf dem Theater.[8] Prinz Friedrich von Homburg geht restlos in den Biographien seines Autors Heinrich von Kleist auf. Auf dem Drahtseil-Lichtstrahl geht der Prinz am Anfang und am Schluss traumwandlerisch dem Tod entgegen. Sabin Tambrea als Homburg gehört nun gerade zu jenen Schauspielern des Berliner Ensembles, die in so traumartigen Inszenierungen wie Lulu oder Peter Pan von Bob Wilson ephemere Gestalten spielten. Aber das Traumartige ist delirant und nicht stringent. Der Strahl stellt somit eine Zielgerichtetheit des Schauspiels her, die ihm in der Literatur Heinrich von Kleists fremd ist. 

 

Torsten Flüh

 

Berliner Ensemble 

Prinz Friedrich von Homburg 

23.03.2017 um 19:30 Uhr 

30.03.2017 um 19:30 Uhr 

01.04.2017 um 19:00 Uhr 

13.04.2017 um 19:00 Uhr  

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[1] Siehe u.a. Günter Blamberger: Heinrich von Kleist. Biographie. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 2011, S. 383.

[2] Siehe Widmung in: Berliner Ensemble (Hg.): Prinz Friedrich von Homburg. Programmheft Nr. 187. Berlin, 2017, S.6.

[3] Ebenda S. 79

[4] Günter Blamberger: Heinrich … [wie Anm. 1] S. 384

[5] Ebenda S. 383.

[6] Ebenda S. 378.

[7] Ebenda S. 386.

[8] Siehe auch: Torsten Flüh: x. - bildlos (un)glücklich. Biographien zu Heinrich von Kleist und Heidi von Platos Kleist-Stück. In: NIGHT OUT @ BERLIN 13. Oktober 2011 17:35. 


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