Todesstreifen, Narbe und Natur als Lebenslinie - Zur Grenze und "Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört" im Museum für Kommunikation

Grenze – Zusammen – Naturerbe 

 

Todesstreifen, Narbe und Natur als Lebenslinie 

Zur Grenze und „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“ im Museum für Kommunikation Berlin 

 

Das Museum für Kommunikation in der Leipziger Straße zeigt noch bis zum 21. Februar 2016 seine Sonderausstellung „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“ über das telekommunikative Zusammenwachsen durch Verkabelung der Bundesrepublik Deutschland nach 1989. Zusammenwachsen, Verkabeln und Zerstören, Freiheitsgewinn und Sicherheitsverlust gingen in den frühen 90er Jahren insbesondere am sogenannten innerdeutschen Grenzraum, dem Todesstreifen einher. Er hatte nicht zuletzt die Kommunikationswege von Straßen, Wegen, Autobahnen, Eisenbahntrassen und Telefonleitungen lahm-, wenn nicht todgelegt.

 

Am Dienstag widmete sich Stefan Willer in einem Vortrag des Begleitprogramms dem Todesstreifen als schwieriges Erbe der deutschen Teilung. Kaum waren die mit dem Tod drohenden und häufig tödlichen Grenzanlagen der DDR beseitigt bzw. in Bauschutt exorbitanten Ausmaßes verwandelt, begannen Landwirte auf wieder zusammengefügtem Grundeigentum ihre Äcker zu bestellen. Der Todesstreifen, der verschwinden sollte, doch westlich der Grenze zu Biotopen geführt hatte, während östlich nicht nur Minen verlegt worden waren, sondern mit Pestiziden tatsächlich ein ökologisch toter Streifen Land geschaffen worden war, drohte mit dem auch belebenden Ackerbau gänzlich zu verschwinden. Grenzbeseitigung, Grenzbiotope und Erinnerungskulturen an die Grenze stießen aufeinander.

 

In seinem Vortrag Vom Todesstreifen zum Grünen Band - Die Transformationen des deutsch-deutschen Grenzraums analysierte Stefan Willer, der an der Humboldt-Universität zu Berlin Kulturwissenschaft lehrt und als stellvertretender Direktor das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL) leitet, insbesondere die Rede vom Naturerbe bei der Schaffung eines lückenlosen Erinnerungs- und Naturraumes im Verlauf der Grenzlinie. Hauptakteur bei der Konzeption und Realisierung des Grünen Bandes ist der zivilgesellschaftlich organisierte BUND, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V., also jener nach dem Vereinsrecht am 20. Juli 1975 von dem Journalisten und Schriftsteller Horst Stern, dem ehemaligen Beauftragten für Naturschutz Prof. Bernhard Grzimek, dem Politiker Dr. Herbert Gruhl, dem Dirigenten und Grundbesitzer Enoch zu Guttenberg, dem Land-, Teich- und Forstwirt Hubert Weinzierl, dem Forstwirt Hubert Weiger und 16 weiteren Natur- und Umweltschützern gegründeten Verein, der die Atomkraft und das Waldsterben als zentrale Aspekte bekämpfen sollte.

 

Das Grüne Band ist als Projekt mittlerweile hoch institutionalisiert. Der BUND, „Freunde der Erde“, wie es auf dem Logo heißt, und das Bundesamt für Naturschutz betreiben seit 2012 noch bis 2017 das Projekt „Lückenschluss Grünes Band“, „Vom Todesstreifen zur Lebenslinie“, worauf Stefan Willer hinwies. Die Anfang der 90er Jahre im Prozess eines Zusammenwachsens durch Ackerbau entstandenen Lücken im lückenlosen Grenzverlauf, sollen, anders formuliert, getilgt werden. Damit werden die Lücken allerdings auch zum Problem des Grünen Bandes als positiv formuliertes „Naturerbe“ im Widerspruch zum Erbe von Eigentum am Ackerland. Konkurrierende Erbansprüche treffen aufeinander und das Zusammenwachsen, nun sowohl in Hinsicht auf willkürlich nach 1945 geteilte Ackerflächen wie bezüglich eines „Lückenschluss(es)“, wird durch Protestveranstaltungen mit Plakaten, Pressemitteilungen, Websites und z. B. Facebook eine medial geführte Auseinandersetzung um eine Hinterlassenschaft als Erbe.

 

In medial vielfältiger Weise wie Videos, Bildmaterial und Sprache wird das 2005 zum „Nationalen Naturerbe“ ernannte Grüne Band in Argumentationsstrukturen ebenso sehr inszeniert wie dokumentiert als auch verknüpft und verlinkt. Am 29. April 2015 veröffentlichte der BUND auf YouTube das Video Das Grüne Band: Vielfalt erhalten, Natur schützen. „Für eine durchgängige Lebensader mitten durch Deutschland“. Das aktuelle Grüne-Band-Video führt unter anderem durch Dr. Liane Geidezis, Leiterin BUND-Projekt Grünes Band, den Begriff „Biotopverbund“ im Statement ein, um ihn sogleich durch eine animierte Graphik anschaulich zu machen. Barbara Hendriks, die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, nimmt den Begriff „als einmal quer durch Deutschland“ auf und mit dem Statement der Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, Prof. Dr. Beate Jessel, kehrt der „Biotopverbund“ prominent als nunmehr medial unterfütterter Begriff wieder.  

 

Im Unterschied zum Protest in Duderstadt von 2013 mit dem Transparent „Keine neue Grenze nach der Wiedervereinigung“, wohlgemerkt unter Regenbogenregenschirm, wie es das Göttinger Tageblatt am 11. April 2013 berichtete, wird im aktuellen Video auf eine Einbindung der „Menschen vor Ort“ abgestimmt. Das Problem des Erbes und dessen unterschiedliche Formulierungen als ein Problem der Übertragung wird weniger pointiert dargestellt. Stattdessen werden die Erzählungen von der Natur, der Grenze, den Grenzanlagen und der deutschen Geschichte im Grüne-Band-Video in Übereinstimmung gebracht. Die restlichen 170 Kilometer Lücken im Grünen Band lassen sich quasi mit seiner Erfolgsgeschichte schließen.

 

Die Frage der Grenze trifft im Feld der Bilder und Geschichten zum Grünen Band auf die des Erbes. Wie Stefan Willer bereits in dem Band Erbe. Übertragungskonzepte zwischen Natur und Kultur mit Sigrid Weigel und Bernhard Jussen schreibt, hat die „neue, politisierte Bedeutung des Wortes >Erbe< (…) die Denkfigur des kulturellen Erbes (begründet), die zum Medium für die ideologische Etablierung der Nationalstaaten wurde“.[1] Das Naturerbe bildet sich nicht zuletzt mit dem BUND seit Mitte der 70er Jahre heraus, obwohl der Begriff erst später aufkommt. Mit dem zentralen Thema des „Waldsterbens" wird indessen bereits ein für Erbekonzepte prägendes Verhältnis von Tod und Verlust zur Übertragung angesprochen.  

Die offene Grüne Grenze, Grenzen und Begrenzungen spielen aktuell eine zunehmende Rolle in der Organisation von großen Flüchtlingsbewegungen und deren mediale Verarbeitung. Gleichzeitig wird die Forderung nach Begrenzung mit generationellen Erbekonzepten von Deutschland, der Nation, extremer: dem „Volk“, bis zum christlichen Abendland verknüpft. Statt der Beibehaltung Grüner Grenzen (!) bauen EU-Mitgliedsstaaten wie Ungarn mit Erbekonzepten legitimierte Grenzzäune, teilen die Europäische Union und verstärken den Grenzwunsch an der Grünen Grenze zu Österreich. Zugespitzt: Erbekonzepte generieren Grenzen, indem sie imaginäre Einheiten von Nation und Volk narrativ in Umlauf bringen.

Das Grüne Band Europa „vom Eismeer bis ans Schwarze Meer“ über 12.500 Kilometer wird spätestens durch die Begrenzungsforderungen in Deutschland und Österreich nachhaltig bedroht. Während im April 2015 also noch eine „Lückenschließung“ in europäischer Ausdehnung aufschien, um das „Naturerbe“ zu retten und zu verbreitern, gefährden Reden vom nationalen Kulturerbe ganz aktuell die Grüne(n) Grenze(n) und das europäische Grüne Band. Stefan Willer ging auf diesen Aspekt in seinem Vortrag nicht näher ein, sondern konzentrierte sich auf das Grüne Band Deutschland. Doch dieses versteht sich sehr wohl als ein Teil des projektierten europäischen. Dass das konträre Kulturerbe mit dem Naturerbe sich in der Forderung nach Begrenzungen möglicherweise in ein und demselben Sprecher überschneiden kann, und dies sehr wahrscheinlich auch gelegentlich tut oder dies nur deshalb nicht macht, weil das eine Erbekonzept in der Rede vom anderen ausgeblendet wird, wäre durchaus erforschenswert.

Die Ausstellung im Museum für Kommunikation ist auf die Telekommunikation fokussiert. Sie erinnert im Begleitheft „Endlich Telefon“ von Veit Didczumeit an den „Aufbau des Telekommunikationsnetzes in den neuen Bundesländern“ u. a. mit einer Fotografie aus dem Besitz der Museumsstiftung Post und Telekommunikation an „Telekom-Mitarbeiter an der ehemaligen innerdeutschen Grenze bei Wolfenbüttel, 1991“ und das „neue digitale Overlay-Netz“, das „1991 de(n) Durchbruch in der Verbesserung der Ost-West-Kommunikation“ brachte.[2] Die Mitarbeiter stehen an einem ehemaligen Grenzpfahl des Bundesgrenzschutzes auf der Westseite der Mauer, die noch im Hintergrund auszumachen ist. Ein Mobilfunknetz gab es natürlich nicht, was allein schon deshalb erwähnt werden muss, weil das für heute 25jährige oder jüngere kaum noch vorzustellen ist, dass es ein Leben ohne Mobile gab.

 

Willy Brandts Ausspruch „Jetzt sind wir in einer Situation, in der wieder zusammenwächst, was zusammengehört“ vom 10. November 1989, wird in der Ausstellung in einer „Hörstation“ (siehe erste Abbildung) mit vielen Telefonhörern zitiert und gegenüber dem Ausstellungstitel vervollständigt. Die emphatische Formulierung kaum 24 Stunden nach der Öffnung der Mauer hat innerhalb kurzer Zeit eine Verkürzung zum Geflügelten Wort erfahren und große Verbreitung erfahren. Was als eine Beschreibung der „Situation“ formuliert worden war, wurde schnell zu einem Programm nicht zuletzt mit dem Verb „zusammenwachsen“ als ein natürlicher, biologischer Vorgang erklärt. Das Zusammenwachsen erwies sich unterdessen in mancher Hinsicht als ein nicht ganz so einfacher, vielmehr auch verlustreicher und schmerzhafter Prozess. Die Grenze selbst und ihre Anlagen kehrten und kehren insbesondere nicht nur als Grünes Band, sondern auch als Narbe Deutschland und Narbe Berlin in den Filmen von Burkhard von Harder mit Live Sound von FM Einheit und 2014 als „Lichtgrenze“ in Berlin wieder.

 

Die Darstellungsweisen der Grenze und des Naturerbes unterscheiden sich in einer größeren Bandbreite. Während in dem Narbe-Projekt von Burkhard von Harder die „100 Minuten Version“ mit einer Einstellung des DDR-Schildes „Staatsgrenze“ in einem entlaubten Wald zu Hubschrauber-Sound, man hört das Rotieren der Rotorblätter und ein vibrierenden Ton der Musik von Klaus Wiese, in Schwarz-Weiß beginnt, um dann schnittlos in einem Überflug über die verschneite Grenzlandschaft im Winter zu münden und ab ca. Minute 48 in Farbfilm zu wechseln. Die Helikopter-Flüge wurden zwischen Januar 2009 und 30. April 2013 mit unterschiedlichen Crews und Kameraleuten unternommen. Die Aufführung der 16 Stunden nonstop Version des „Experimental Single Shot Documentary Film Project“ fand am 29. März 2015 zwischen 04:00 und 20:00 Uhr auf Ebene 4 des Kraftwerks Mitte in der Veranstaltung The Long Now mit Klangimprovisationen von Anna Clementi, Ulrike Brand, Elena Kakaliagou und Hilay Jeffrey statt.

 

Das künstlerisch, dokumentative Narbe-Projekt von Burkhard von Harder transformiert das Grüne Band durch den non-stop montierten Überflug weniger in eine „Lebenslinie“ als vielmehr in eine durchaus schwer zu konsumierende Jahreszeiten-Streifen-Erzählung von 16 Stunden. Was im schnellen Schnitt und Wechsel von Luft- über Landschafts- bis zu Makroaufnahmen des BUND-Video als Vielfalt von Leben, Naturerbe und „Biotopverbund“ visuell und narrativ hergestellt wird, bleibt im Helikopter-Film unsichtbar. Die „Lebenslinie“ wird nun zur auch schmerzenden Narbe transformiert. Nicht zuletzt lässt sich formulieren, dass für einen Körper, als welcher die Landschaft Deutschlands im Film und mit dem Titel imaginiert wird, die Narbe auf eben jene Grenzerfahrung einer Körperverletzung hinweist. Obwohl eine Landschaft aus Helikopter-Perspektive zu sehen ist, wird Deutschland als Körper, und durchaus humaner Körper mit der Narbe angesprochen.

 

Auffällig wird mit den unterschiedlichen Projekten zur einstigen deutsch-deutschen Grenze, dass sie mit unterschiedlichen Erbe- und Erinnerungskonzepten auf sehr verschiedene, kontroverse Weisen zur Darstellung gelangt. Man könnte auch sagen, dass die Grenze im Moment ihres Verschwindens nach einer anderen Darstellung verlangt, die sich nicht oder nur ersatzweise in Zäunen und Grenzanlagen materialisiert. Indem Maße wie die Grenze verschwindet, ruft sie, wie sich an der nur scheinbar zügellosen Landnahme der Landwirte zeigt, andere Grenzen und Grenzziehungen auf. Wollten die Landwirte doch 2013 gerade keine Grenze, um dagegen die Grenzen ihrer Flurstücke und Anbauflächen mit Grundbuch und Liegenschaftskataster zu verteidigen.  

 

Im Anschluss an den Vortrag von Stefan Willer, fand eine lebhafte, ja, heftige Diskussion statt. Wie bereits bei der Veranstaltung Nachhaltigkeit in der Digitalen Welt, 2013, als es um das Kulturerbe ging, rührte die Befragung des Naturerbes an sensible Bereiche des Wissens, des Wissens von sich selbst und des Selbstverständnisses einzelner Hörerinnen. Erbangelegenheiten haben in zugespitzter Weise immer auch mit Identitäten bzw. Identitätskonzepten zu tun. Erfahren kann es mehr oder weniger jeder Mensch auf die eine oder andere Weise. Geht es doch immer darum, wie mit einer Hinterlassenschaft oder einem Nachlass als Rest und nutzlos gewordenes Ding umgegangen werden soll. 

 

Torsten Flüh 

 

„Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“ 

Museum für Kommunikation 

bis 21. Februar 2016 

 

Weitere Vorträge in Kooperation mit dem Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin: 

Das Telefonbuch. 

Berlins Sprechstellen, Netzteilnehmer und Kontaktdaten als wiedervereinte Liste 

Jana August 

8.12.15, 18.30 Uhr, Eintritt frei 

 

Der Berliner Fernsehturm. 

Architektur der Einheit 

Dr. Tatjana Petzer 

12.1.16, 18.30 Uhr, Eintritt frei

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[1] Stefan Willer, Sigrid Weigel, Bernhard Jussen: Erbe. Übertragungskonzepte zwischen Natur und Kultur. Berlin: Suhrkamp, 2013, S. 25.

[2] Veit Didczumeit: „Endlich Telefon“  Der Aufbau des Telekommunikationsnetzes in den neuen Bundesländern. In: Das Archiv 31, 2015, S. 13. (als PDF)


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Categories: Kultur

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